Kretschmann sollte in Hamburg reden

Monika Knoche über die Grünen und ihren Ministerpräsidenten

  • Monika Knoche
  • Lesedauer: 2 Min.

Es wird gemutmaßt, dass es auf dem kommenden Parteitag der Grünen zu einem Eklat kommen könnte. Winfried Kretschmann, der erste grüne Ministerpräsident eines Bundeslandes, hatte einem von ihm selbst mit ausverhandelten Bund-Länder-Kompromiss zugestimmt. Es geht um den Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen in unserem Land. Meinungsstarke Menschenrechtsdogmatiker werfen ihm Verrat an grünen Grundsätzen vor. Ganz so, als sei Asyl ein Identitätsthema der Partei.

Doch stimmt das wirklich? Schaut man auf die rot-grüne Bundesregierung zurück, so zeigt sich, dass trotz allgegenwärtiger grüner Flüchtlingsempathie jede Menge Vortäuschung falscher Tatsachen vorherrscht. Außenminister Josef Fischer hat den Schengen-Raum extensiv nach Osteuropa erweitert. Die Diskriminierung der Sinti und Roma störte ihn dabei genau so wenig wie die grassierende Korruption und die fehlende Rechtsstaatlichkeit in diversen Neumitgliedsländern der Wertegemeinschaft EU.

Von »Wirtschaftsflüchtlingen« sprach dereinst der Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch. Kriegs- und Armutsflüchtlinge wollten schon damals übers Mittelmeer nach Europa kommen. Unter deutscher Mitgestaltung in der EU-Kommission werden sie bis heute erfolgreich abgeblockt. Die Festung Europa wurde gebaut, ein humanitäres Asyl- und Flüchtlingsrecht hingegen nicht. Das universelle Menschenrecht galt allenfalls als Kriegsführungsgrund. All das gehört realiter zur Identität der heutigen Grünen.

Doch in der Opposition, in der sie nun verharren, wollen sie nicht mitschuldig sein. Alle diejenigen, die heute »den Kretsch« kritisieren, wollten damals lieber an der Regierung bleiben, als sich ihren Grundsätzen zu verschreiben. Nach der Bundestagwahl im letzten Jahr hätten sie sogar die Chance gehabt, unter der ersten schwarz-grünen Bundesregierung Fehler von einst zu korrigieren. Kretzschmann drängte darauf, die reale Macht- und Gestaltungsoption zu ergreifen. Die Führungsriege wollte nicht. Jetzt ist er ihnen nichts mehr schuldig. Die Rolle als Parteisoldat schon gar nicht. Er ist Landesvater. Er hat gewissenhaft den Bundesratsentwurf geprüft und sich gesagt, wenn ich zustimme, bringt das den betroffenen Menschen mehr, als wenn ich Obstruktion betreibe. Vielleicht dachte er, nur weil die Grünen nicht bereit sind, in den Spiegel zu schauen und sich zu dem zu bekennen, wer sie geworden sind, werde ich mich nicht verbiegen.

Kretschmann ist Exkommunist, Alt-68er. Er ist bekennender Katholik, kein pseudolinker Moralist. Von affektiertem Menschenrechtsgehabe hält er nichts. Er sollte in Hamburg reden. Es wird keinen Eklat geben.

Monika Knoche war 1979 Mitbegründerin der Grünen, trat 2005 aus ihrer Partei aus und wurde 2007 Mitglied der LINKEN; drei Wahlperioden saß sie im Bundestag.

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