Keine Angst vor Inklusion

Wie Vielfalt im organisierten Sport gefördert werden kann

  • Hajo Obuchoff
  • Lesedauer: 5 Min.
Am Dienstag wurde in Berlin das Resultat eines Arbeitsforums zur Inklusion im und durch den Sport vorgestellt. Dabei geht es um die Partizipation aller Menschen am sportlichen Leben.

Inklusion - allein dieses merkwürdige Wort erzeugt immer wieder unterschiedlichste Reaktionen. Nach Inklusion in der Schule nun also auch noch Inklusion im Sport, wird manch Leser stöhnen. Was aber verbirgt sich eigentlich hinter diesem Wort? Nichts weiter als Dazugehörigkeit, Einbeziehung. Einbeziehung des Menschen in all seiner Vielfalt am gesellschaftlichen Leben - also auch in den Sport. »Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderung zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern«, heißt es dazu in der UN-Behindertenkonvention von 2006.

Das ist leicht gesagt, stößt im Alltag indes immer wieder auf Hürden. Hürden verschiedenster Art zu überwinden ist jedoch gerade im Sport nicht selten die Aufgabe - im wahrsten Sinne des Wortes. Deshalb setzten sich vor einem Jahr Funktionäre, Wissenschaftler, Trainer und Sportler - vor allem mit Erfahrungen im Behindertensport - zusammen und erarbeiteten ein Werk, dass nun unter dem Titel »Index für Inklusion im und durch Sport« erschienen ist und am Dienstag im Hauptstadtbüro des Deutschen Sports in Berlin vorgestellt wurde.

110 Seiten sollen informieren, sensibilisieren sowie Neugier und Kreativität erwecken, wie man Menschen in all ihrer Vielfalt im und durch den Sport zusammenführen kann. »Wir haben symbolisch zwei Leerseiten eingefügt, für weitere Anregungen und Vorschläge«, sagt Thomas Härtel, Vizepräsident für Breiten-, Präventions- und Rehabilitationssport im Deutschen Behindertensportverband (DBS). Dieser Index sei nicht vom DBS allein erstellt, sondern unter dem Motto: »Nicht über uns ohne uns«. Es handele sich um eine Gemeinschaftsarbeit von unterschiedlichen Mitstreitern: Sie rankt sich vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), Sportvereinen, Sportfachverbänden zu den unterschiedlichsten Institutionen, wie zum Beispiel auch die »Aktion Mensch«. Einer der wichtigsten Partner dabei ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Von dessen Unterstützung - finanziell wie politisch - erhoffen sich die Macher des Inklusionsindex’ vor allem Rückenwind auf politischer Ebene.

Niedersachsen gilt in der Organisation der Inklusion im Sport als Vorzeigeland. Dort gibt es bereits seit mehreren Jahren eine entsprechende Referentenstelle im Landessportbund (LSB). Jutta Schlochtermeyer bekleidet diese Funktion neben der als Vizepräsidentin des Behinderten-Sportverbandes in ihrer Region. Am wichtigsten jedoch sei die Umsetzung an der Basis, meint sie. »Viele Vereine befürchten zunächst, dass mit der Inklusion von Behinderten nun eine weitere Last auf sie zukommt. Inzwischen registrieren wir aber ein unerwartet positives Echo.« So haben sich im Emsland Sportvereine zu einem Netzwerk von Inklusion im Sport zusammengeschlossen. Auch in Osnabrück, Braunschweig und Wolfsburg sei die Akzeptanz für gemeinsamen Sport von Menschen mit und ohne Behinderung enorm gewachsen. »Gerade persönliche Begegnungen beim gemeinsamen Sport bauen Ängste ab, die zuvor noch bestanden. Viele Menschen treffen bei solchen gemeinsamen Sportveranstaltungen zum ersten Mal direkt auf einen Behinderten.«

In Berlin ist der SV Pfefferwerk einer der führenden Vereine in Sachen Inklusion. »Wir arbeiten seit unserer Gründung 1990 vor allem im Kinder- und Jugendbereich«, berichtet Oliver Klar, Koordinator für Inklusion im Sportverein. Der Verein setzte von Beginn an auf breite Formen des Bewegungsangebots. »Stures Beharren auf alte Methoden gab es von vornherein nicht. Wir wollten einfach möglichst viele Kinder und Jugendliche von der Straße holen, sogar behinderte Babys betreuen wir.«

Die Tatsache, dass im SV Pfefferwerk eine feste Stelle für einen Sportintegrationsberater geschaffen wurde, zeigt aber auch, dass ohne Moos nichts los ist. Der Verein vom Prenzlauer Berg ist mit gut 4000 Mitgliedern zwar relativ finanzstark, trotzdem besteht eine der Hauptaufgaben für Klar, Sponsoren zu suchen und zu überzeugen. Aber seitdem Inklusion gesetzlich verankert ist und immer stärker zum Thema in der Gesellschaft wurde, könne man feststellen, dass in Unternehmen, Kommunen und anderen Organisationen ein größeres Interesse am Breiten-, Behinderten- und Familiensport besteht, glaubt Oliver Klar.

»Natürlich spielt die finanzielle Absicherung der Inklusion im Sport eine wesentliche Rolle«, gesteht Thomas Härtel. »Aber gerade mit dem Index wollen wir Anregungen geben, wie bereits bestehende Ressourcen genutzt werden können, ohne zusätzliches Geld zu kosten. Oft sind es organisatorische Dinge, die angepasst werden können.« Im Vorfeld der Konferenz der Sportminister am kommenden Freitag findet eine Inklusionstagung statt, die helfen könnte, neue Schatullen zu öffnen. »Wir nutzen jede Gelegenheit zu Gesprächen mit Politikern und Abgeordneten des Bundestags«, versichert Härtel. Der Funktionär pflegt in dieser Hinsicht eine alte Gärtnerweisheit: »Zarte Pflänzlein sollte man regelmäßig gießen.«

Inklusion beginnt schließlich in den Köpfen. Das setzt voraus, offen und neugierig auf Neues zu sein, Mut zu Veränderungen zu besitzen, tolerant zu sein, andere Menschen, auch ihr Andersein zu respektieren. Letztlich sollte es normal sein, mit Menschen in all ihrer Verschiedenheit zu leben.

Der Inklusionsindex - eine Auflage von 10 000 Stück ist geplant - wird kostenlos verteilt. Das Interesse nicht nur bei Sportvereinen, sondern auch von Universitäten und Bildungseinrichtung sei jetzt schon erstaunlich groß, bestätigt Thomas Härtel. Heute bedeutet das natürlich auch die digitale Verbreitung, was der Popularität des Werks durchaus hilfreich sein dürfte. Unter dem Internetlink www.dbs-npc.de kann der Index bequem von Jedermann aus dem Netz geladen werden. Also auch hier zeigt sich die Nützlichkeit von Netzwerken ganz praktisch. Die spannendste Aufgabe indes ist analog: Möglichst viele Menschen durch Sport vereinen.

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