Katalanen trotzen Abstimmungsverbot
Nordspanische Region hält an inoffizieller Befragung über die Unabhängigkeit fest
Eines hat die spanische Regierung bereits geschafft: Kurz vor dem eigentlich für den 9. November angesetzten Referendum über die Unabhängigkit Kataloniens stand eben nicht mehr die Frage nach dem Ja oder Nein zur Abspaltung im Zentrum der Debatte. Es ging zuletzt nur noch darum, ob eine Volksbefragung dazu überhaupt zulässig ist.
Das Verfassungsgericht in Madrid hatte die für diesen Sonntag angesetzte Befragung für unzulässig erklärt. Das nahm die katalanische Regionalregierung nicht hin. Sie will wenigstens unverbindlich über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen lassen. Auf ihren Antrag hin wurde jedoch auch eine »alternative Abstimmung«, die in mehr als 99 Prozent aller Gemeinden gleichzeitig abgehalten werden sollte, verboten, wogegen die Regionalregierung aber noch am Freitag Rechtsbeschwerde einlegte.
Gleichzeitig traf sich der katalanische Präsident Artur Mas mit Parteien und Organisationen, die den »Pakt für das Selbstbestimmungsrecht« bilden. Danach bekräftigte Mas, sich nicht auch noch aus dieser Befragung zurückziehen zu wollen, wie es Madrid zuletzt gefordert hatte. Statt eines Referendums hatte Mas ohnehin nur eine Befragung angesetzt, die er immer weiter verwässert hat.
Einstimmig beschloss das Bündnis, die Durchführung der Befragung in die Hände zivilgesellschaftlicher Organisationen zu legen. Damit übernehmen die »Katalanische Nationalversammlung« (ANC) und Òmnium Cultural eine stärkere Verantwortung. Sie hatten in den letzten Jahren bis zu 2,5 Millionen Menschen und damit fast ein Drittel der Katalanen für ein unabhängiges Katalonien mobilisiert und dabei auf Zehntausende Freiwillige zur Umsetzung bauen können. Für die ANC-Präsidentin Carme Forcadell ist es ein »Erfolg« und ein erster Schritt zur Unabhängigkeit, wenn nun abgestimmt wird.
Gefunden wurde eine Kompromissformel, nachdem zuvor Madrid erstmals eingelenkt hatte. Der spanische Justizminister sagte, eine Abstimmung könne stattfinden, wenn sich die Regionalregierung komplett heraushalte. Rafael Catalá erklärte, man wolle die »freie Meinungsäußerung« nicht einschränken. Doch es ist offensichtlich, dass sich Madrid vor einem klaren Stimmungsbild bei guter Beteiligung fürchtet.
Da die Regionalregierung sich nicht komplett zurückzieht, muss die wegen Korruptionsfällen in der Wählergunst abstürzende Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy nun entscheiden, ob sie das Verbot durchsetzt. Die Frage ist also, ob am Sonntag die Polizei 1255 Wahllokale schließen und 8000 Wahlurnen beschlagnahmen wird. Unklar ist, ob die mehr als 6000 Beamten der Regionalpolizei mitspielen oder ob sogar die paramilitärische Guardia Civil eingesetzt werden müsste.
Die regierende Volkspartei steht massiv unter Druck. Dazu kommt, dass sich die neue Empörten-Partei »Podemos« (Wir können es) anschickt, stärkste Kraft im Land zu werden. Dies ergab gerade eine Umfrage des »Zentrums für soziologische Studien«. Und anders als die Sozialisten verteidigt Podemos das Selbstbestimmungsrecht von Basken und Katalanen.
International wurde der Druck durch ein Manifest erhöht. »Lasst die Katalanen wählen« ist dessen Titel. Für das Recht auf Selbstbestimmung treten darin unter anderem Führungspolitiker von Nelson Mandelas ANC, Friedensnobelpreisträger wie Adolfo Pérez Esquivel und Desmond Tutu ebenso wie der US-amerikanische Linguist Noam Chomsky, Ignacio Ramonet, Direktor der renommierten französischen »Le Monde diplomatique«, und der britische Filmemacher Ken Loach ein.
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