Vollgepisste Bettwäsche
Fußballfans sind Fußballfans sind Fußballfans. Das sollte wissen, wer über eine Sportart schreibt, die mit so vielen Emotionen verbunden ist.
Ich gebe es zu. Ich hasse alle Bundesligisten, abgrundtief. Wobei es Abstufungen gibt, am meisten verachte ich schließlich immer denjenigen Erstligisten über den ich gerade schreiben muss. Am Wochenende war das deshalb der FC Schalke 04, der völlig verdient 2:0 in Freiburg verloren hatte und dabei auch nach eigener Einschätzung verdammt gut weggekommen war. So ähnlich schrieb ich das für den famosen »Weserkurier« auf, der allerdings einen Leser hat, der da eine ganz andere Wahrnehmung hatte und mir folgenden Leserbrief schrieb, wahrscheinlich hatte er eine brillante, hochgradig inspirierte Schalker Vorstellung gesehen:
»Dieser Artikel zeigt «Wessen Geistes Kind» Sie sind.
Schalke könnte gegen Bayern München oder Real Madrid 5:0 gewinnen, und Sie würden den Gelsenkirchener Traditionsverein immer noch durch den Kakao ziehen.
Neutralität ist im Journalismus eine gute Eigenart, die Ihnen leider fehlt.«
Das sitzt. Und es trifft mich genauso wie die anderen Leserbriefschreiber, die mir in den letzten Jahren ähnliche Briefe geschrieben haben, wenn sie meinten, ihr Leib- und Magenverein sei gerade zu schlecht weggekommen. Allein in den letzten zwei Jahren unterstellten mir Schalker Fans, ich müsse BVB-Fan sein, während BVB-Fans behaupteten, ich sei schon vor meiner Geburt ein Königsblauer gewesen. Und als ich einmal nach einem Spiel des FC Bayern beim VfB Stuttgart Arjen Robben unterstellte, er neige zur Fallsucht und habe den Platzverweis eines Stuttgarters provoziert, leitete mir die Redaktionen an die 100 Zuschriften weiter. Die schönste enthielt den Rat, ich solle mich doch in meiner »vollgepissten VfB-Bettwäsche sulen« (sic, und sick). Kann man machen, wenn man VfB-Bettwäsche besitzt, tue ich aber nicht. Ich bin doch schon groß und habe außerdem noch nie Bettwäsche von irgendeinem Fußballverein besessen. Nicht mal vom KSC, über den ich angeblich auch immer viel zu negativ schreibe, wie vor zwei Wochen ein Leserbriefschreiber zu wissen glaubte. Ich müsse diesen Verein wohl abgrundtief hassen. In meinem Freundeskreis wurde herzlich gelacht..
Nun könnte man das alles nonchalant mit dem Hinweis beiseite wischen, dass so viele Schmähungen von allen Seiten ja nur zeigen, wie gnadenlos objektiv man doch schreibt. Aber das ist natürlich Unsinn, die Rote Karte für den Stuttgarter Spieler war – im Nachhinein betrachtet – schon gerechtfertigt. Oder man könnte darüber nachdenken, wie es um Menschen bestellt ist, die sich gar nicht vorstellen können, dass es Menschen gibt, die nicht so fanatisch Fan eines Vereins sind wie sie selbst. Ich denke jetzt aber lieber über etwas anderes nach. Zum Beispiel darüber, ob Neutralität wirklich eine gute »Eigenart« im Journalismus ist und warum der gute Mann sein »Wessen Geistes Kind« in Anführungszeichen gesetzt hat.
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