Gefallener Siegfried

Kramer beglückt Klopp als Kunstschütze - wider Willen

  • Andreas Morbach, Dortmund
  • Lesedauer: 3 Min.
Krisenhilfe der ungewöhnlichen Art leistete der Gladbacher Christoph Kramer für Dortmund mit seinem genialen Eigentor zum 1:0 des BVB.

Der ärztliche Befund zur Verletzung des griechischen Prellbocks namens Sokratis passte bestens zu dem außergewöhnlichen Borussen-Treffen in Dortmund. Der Innenverteidiger des BVB hatte sich bei einer rabiaten Grätsche gegen Gladbachs André Hahn kurz vor Schluss verletzt - und ehe es in den Feierabend ging, übermittelte die Dortmunder Presseabteilung die genaue Diagnose: »Unverschobener, belastungsstabiler Wadenbeinbruch rechts.« Eine OP sei nicht nötig, der Hellene falle aber mindestens zweieinhalb Wochen aus.

Mehrere Ausfälle hatte auch die Borussia vom Niederrhein zu beklagen - allerdings während des Spiels. Als besonders schwerwiegender Fall erwies sich dabei Christoph Kramer. Dessen Fußballjahr 2014 war bislang derart traumhaft verlaufen, dass sich der gebürtige Solinger zuletzt für eine Art moderner Siegfried hielt. Einem Freund erzählte der vermeintlich unbesiegbare Kerl zwei Tage vor dem BVB-Spiel jedenfalls, eines werde ihm nie unterlaufen - ein Eigentor. Pustekuchen: 50 Stunden nach dem Telefonat verschaffte Kramer den Dortmundern ein tonnenschweres Glücksgefühl - mit einem Schuss ins eigene Tor, der in den Fußballarchiven seinesgleichen sucht.

Das ahnte auch der Kunstschütze wider Willen, als er eine Dreiviertelstunde nach Spielschluss aus dem Stadion trat und über seine bizarre Bogenlampe aus 44,5 Metern sprach. Es war der einzige Treffer im Duell der Namenscousinen, also formulierte Jürgen Klopp rasch eine Dankesbotschaft an Kramer. »Wenn er das Tor nicht macht«, mutmaßte der BVB-Coach nach acht hochwertigen Torchancen, die seine Spieler verballert hatten - »ich fürchte, wir hätten keins geschossen.«

Dem Empfänger selbst stockte noch immer der Atem, als er seine fulminante Fehlleistung rekapitulierte. »Ich wollte den Ball flach zurückspielen, doch als ich sah, dass der Ball hochging, dachte ich ‚scheiße‘. Als ich sah, dass Yann Sommer so weit vor dem Tor steht, dachte ich noch mal ‚scheiße‘. Und als der Ball im Tor war, dachte ich ‚große Scheiße‘«, berichtete der Weltmeister und Verursacher der ersten Gladbacher Pleite nach der Vereinsrekordmarke von 18 niederlagenlosen Partien en bloc.

Am meisten aber schämte sich Kramer (»Viel mehr ärgert mich, dass ich heute so eine Grütze gespielt habe«) für das sportliche Drumherum: Nur 39 Prozent gewonnene Zweikämpfe, dazu eine Fehlpassquote von 31 Prozent. »Wenn so ein wichtiger Mann in der Zentrale wegbricht, ist jeder Matchplan über den Haufen geworfen«, geißelte sich Kramer dermaßen, dass Profiteur Klopp sofort zum verbalen Verbandskasten griff. »Ich halte ihn für einen außergewöhnlichen Kicker, dieses Tor wird für ihn als Kuriosität eine Randnotiz in seinem Leben bleiben«, prophezeite er.

Wie das mit seinen aufopferungsvoll fightenden, brandgefährlich angreifenden, letztlich aber doch beschenkten Borussen weitergeht - davon hat Klopp zumindest eine Ahnung. In zwei Wochen geht es auf kurze Dienstreise hinüber nach Paderborn. »Dieses Spiel war ein Zeichen für uns, dass es geht«, sagte der BVB-Coach, ehe er sich beim Gedanken an die vielen Niederlagen nachträglich bei Sportdirektor Michael Zorc und Klubchef Hans-Joachim Watzke bedankte - »dafür, dass sie mir keine komischen Fragen gestellt und mir nicht immer fragend hinterher gesehen haben«.

Arg verwundert war stattdessen der Trainer selbst - als er, als Letzter, von Sokratis‘ Verletzung erfuhr. »Wahrscheinlich«, merkte Jürgen Klopp zu der verspäteten Information amüsiert-pikiert an, »waren hier alle so glücklich, dass sie vergessen haben, mich in Kenntnis zu setzen.«

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