Müllers Gesamtkunstwerk

Zwei neue und zwei alte: Der designierte Regierende präsentierte am Freitag seine Senatsmannschaft

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit Andreas Geisel (Stadtentwicklung) und Matthias Kollatz-Ahnen (Finanzen) ziehen zwei neue Senatoren in den Senat ein. Dilek Kolat (Arbeit) und Sandra Scheeres (Bildung) machen weiter.

Die Gerüchte über sein Personaltableau haben Michael Müller in den vergangenen zwei Wochen durchaus belustigt. »Ich hatte richtig Spaß jeden Morgen, wenn ich Zeitung gelesen und gesehen habe, welche neuen Spekulationen es gibt«, sagt der designierte Regierende Bürgermeister. Doch mit den Mutmaßungen ist jetzt vorbei. Müller stellte am Freitag im Abgeordnetenhaus sein neues »Team« vor. Aufgrund des Abgangs von Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) und Müllers eigenem Wechsel vom Stadtentwicklungssenator zum Regierenden Bürgermeister ins Rote Rathaus als Nachfolger von Klaus Wowereit waren zwei Senatorenplätze neu zu besetzen.

Mit Matthias Kollatz-Ahnen als Finanzsenator setzt Müller die Berliner Tradition fort, für das Finanzressort einen Spezialisten von Außen zu holen. Der 57-Jährige Kollatz-Ahnen aus Süd-Hessen war zuletzt bei der Berateragentur PricewaterhouseCoopers tätig, er ist als ehemaliger Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank überdies in europäischen Finanzdingen versiert. »Es ist gut, wenn ein Finanzsenator etwas Distanz hat und nicht bei jeder Forderung eines Senators gleich mitweint«, erklärte Müller seine Personalwahl. Der neue Finanzchef stehe vor der »Gratwanderung«, den Konsolidierungskurs fortzusetzen und die Investitionsquote im Hinblick auf eine wachsende Stadt zu steigern.

Kollatz-Ahnen erklärte, er wolle die Verpflichtungen aus der Schuldenbremse aus eigener Kraft erreichen. »An dieser Festlegung gibt es überhaupt nichts zu rütteln.« Im Gegensatz zu Nußbaum besitzt Kollatz-Ahnen auch eine »aktive SPD-Vergangenheit«. Er war mal Vize-Juso-Bundesvorsitzender und ist zudem mit Doris Ahnen liiert, der SPD-Finanzministerin von Rheinland-Pfalz.

Für seine eigene Nachfolge im Stadtentwicklungssenat hat Müller dagegen eine (Ost)Berliner Lösung vorgesehen: Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Andreas Geisel (SPD) soll das Mammutressort übernehmen, in dem die Bereiche Bauen, Wohnen, Verkehr und Umwelt zusammengefasst sind. »In der Schwerpunktsetzung Wohnen und Mieten sind wir uns sehr nah«, sagte Müller mit Blick auf das von Geisel geschmiedete bezirkliche Bündnis für Wohnen in Lichtenberg. Geisel kündigte an, dass er »bezahlbaren Wohnraum« schaffen will, um den Mietenanstieg zu dämpfen. Überdies wolle er aber auch Bestandspflege betreiben. »Die Berliner Ansicht, alles muss besser werden, es darf sich aber nichts ändern, wird auf Dauer nicht tragen«, erklärte er. Nicht jede »Lieblingsbrache« könne bleiben.

Weiter als SPD-Senatorinnen werden Sandra Scheeres (Bildung) und Dilek Kolat (Arbeit) in Müllers Kabinett vertreten sein. Kolat rückt überdies zur Stellvertreterin von Müller als Bürgermeisterin auf. Entgegen vieler Erwartungen werden die Fäden in der Senatskanzlei auch in Zukunft von Björn Böhning gezogen, den Müller als Senatskanzleichef von Wowereit übernimmt. Dessen Sprecher Richard Meng ersetzt Müller indes durch seine »enge Vertraute« Daniela Augenstein, die Müller schon als Landesvorsitzender und Stadtentwicklungssenator zur Seite stand. Die 36-Jährige wird als Staatssekretärin eingestellt. Die Staatssekretäre in der Stadtentwicklungs- und Finanzverwaltung bleiben. »So eine Senatsmannschaft ist ein Gesamtkunstwerk«, betonte Müller. Bei der Zusammenstellung würden viele verschiedene Überlegungen eine Rolle spielen.

Bei den anderen Parteien und in der Stadt wurden die Personalentscheidungen des designierten Regierenden unterschiedlich bewertet. CDU-Generalsekretär Kai Wegner sagte: »Die designierten Senatoren stehen vor großen Aufgaben. Sie haben eine Chance verdient, den Mehltau von den Aktenbergen etwa zur Vergabe des S-Bahn-, Strom- oder Gasnetzes zu beseitigen.« SPD-Landeschef Jan Stöß, der im Mitgliederentscheid um den Posten des Regierenden Müller unterlegen war, begrüßte das Holen von »zwei politischen Schwergewichten« und »hoch angesehenen Sozialdemokraten« in den Senat. Die Industrie und Handelskammer (IHK) lobte die Neuen ebenfalls. Kollatz-Ahnen bezeichnete Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes, Jan Eder, als »kompetenten Fachmann«. Geisel ist laut IHK »sympathisch, aufgeschlossen und jederzeit ansprechbar«. Auch als Stadtentwicklungssenator werde er eine gute Figur machen, so Eder.

Kritischer wurden Müllers Neue von der Opposition bewertet. »Andreas Geisel ist uns bisher nicht als besonders als innovativer Stadtentwickler aufgefallen«, sagte der Landesvorsitzende der LINKEN, Klaus Lederer, dem »nd«. Genau wie für die Sozialisten ist Kollatz-Ahnen bei den Grünen ein »unbeschriebenes Blatt«. »Es wird maßgeblich darauf ankommen, dass der neue Finanzsenator und der Stadtentwicklungssenator an einem Strang ziehen«, sagte der Grüne Landesvorsitzende Daniel Wesener dem »neuen deutschland«. In der Vergangenheit gab es hier eine Blockade, die sich die Stadt nicht weiter leisten könne.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.