Sportfreund Spitzel
Verfassungsschutz spioniert in linksalternativer Fanszene des SV Babelsberg 03
Der brandenburgische Verfassungsschutz hat den SV Babelsberg 03 und seine Anhänger im Blick. Dies steht fest. Schließlich taucht der Fußballverein im jüngsten Verfassungsschutzbericht an zwei Stellen auf.
Babelsberg 03 ist ähnlich wie St. Pauli und Tennis Borussia Berlin für seine linksalternative Fanszene bekannt. Angriffe durch neofaschistische Schlachtenbummler anderer Fußballvereine sind leider keine Seltenheit. Deswegen überrascht es nicht, dass eine der beiden Erwähnungen im Verfassungsschutzbericht im Kapitel Rechtsextremismus steht. Da heißt es, am 3. August 2013 sei es in Potsdam vor einem Regionalligaspiel gegen den 1. FC Lokomotive Leipzig zwischen Fangruppen zu »Anfeindungen und Provokationen sowie gewalttätigen Ausschreitungen« gekommen. Dabei überstiegen »rechtsmotivierte« Anhänger von Lok Leipzig die Sicherungszäune und griffen Fans des SV Babelsberg an, so der Bericht.
Nicht als Opfer, sondern als Täter firmieren Anhänger von SV Babelsberg 03 im Kapitel Linksextremismus: Es geschieht am 4. Mai 2013. Bei einem Heimspiel sind Beschäftigte einer Berliner Sicherheitsfirma als Ordner eingesetzt. Etwa 20 Babelsberger beschimpfen eine Mitarbeiterin als »Nazibraut« und schlagen sie, vermerkt der Verfassungsschutz. Die Frau flüchtet mit einem Kollegen in einen privaten Pkw. Sie werden unter dem Ruf »Da sind die Nazischweine« von mittlerweile bis zu 50 Leuten verfolgt, die das Auto umringen, auf das Fahrzeug eindreschen und gegen die Karosserie treten. Bislang seien drei Tatverdächtige ermittelt, berichtet der Geheimdienst.
Dergleichen Informationen könnten aus Polizeimeldungen und Zeitungsnachrichten entnommen sein. Nun scheint sich aber der lange gehegte Verdacht zu bestätigen, dass der Geheimdienst unter den Nulldreiern Spitzel angeworben hat, um die Szene besser ausspionieren zu können. Nach einem Auskunftsersuchen hat es ein Fan amtlich, dass Ereignisse am Rande des Spielfeldes ausgespäht werden - so wird es im Internet erzählt von »Nordkurve Babelsberg«.
Auf solche Auskunftsersuchen teilt der Geheimdienst unter Umständen zumindest teilweise mit, was er über die nachfragende Person an Daten gespeichert hat. Bei dem genannten Fußballfan war nicht nur der Besuch von Konzerten und die Teilnahme an Demonstrationen aufgelistet. Auch dass er sich in den Jahren 2008 bis 2010 bestimmte Fußballspiele angesehen und am 4. September 2010 beim antirassistischen Stadionfest »Der Ball ist bunt« mitgefeiert hatte, wurde ihm bescheinigt. »Nordkurve Babelsberg« schlussfolgert: »Die breite Palette an alternativen politischen, kulturellen und sozialen Events, die unter Beobachtung des Geheimdienstes stehen, ist demnach noch lange nicht vollständig.«
Zum Hintergrund: Der Verfassungsschutz hat Namen und Anschriften zahlreicher Personen der linken Szene Potsdams gespeichert und auch Fotos von ihnen gesammelt. Dies stellte sich vor knapp einem Jahr heraus, nachdem eine ganze Reihe von Betroffenen Auskunft verlangt hatte. Einer der jungen Männer, der das öffentlich machte, erhielt beispielsweise per Post mitgeteilt: »Sie besuchten am 24. Dezember 2011 die Weihnachtsparty im Szeneobjekt ›Black Fleck‹ in Potsdam, welches häufig von Linksextremisten besucht wird.«
Nach Darstellung von »Nordkurve Babelsberg« gibt es in der linken Szene Potsdams eine oder mehrere Personen, die mit dem Verfassungsschutz kooperieren. »Sehr wahrscheinlich ist nun, dass es auch in der Fanszene des SV Babelsberg 03 Informanten gibt.« »Nordkurve« warnt vor Anquatschversuchen des Geheimdienstes, der die ausgewählten Leute erst einige Zeit beschatte und dann auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule anspreche. In der Vergangenheit habe es der Verfassungsschutz mindestens zweimal bei Menschen probiert, die der Babelsberger Fanszene zuzurechnen seien. Diese hätten das dann aber offenbart. »Nordkurve« rät, es ihnen gegebenenfalls gleich zu tun. »Nur so lassen die Geheimdienstmitarbeiter von einem ab und es ist möglich, diese schäbige Vorgehensweise publik zu machen.« Der Verfassungsschutz habe spätestens seit seiner Verstrickung in die Mordfälle der neofaschistischen Terrorgruppe NSU »jegliche Existenzberechtigung verloren«.
Das Innenministerium wiegelt ab. Der Verfassungsschutz beobachte »weder die Fanszene noch Spiele oder Veranstaltungen des SV Babelsberg 03«, versichert Sprecher Ingo Decker. Niemand werde deswegen beobachtet, weil er Anhänger des SV Babelsberg sei. »Gegenteilige Behauptungen werden allerdings lanciert, um die Arbeit des Verfassungsschutzes öffentlich zu diskreditieren.« Es sei der gesetzliche Auftrag des Verfassungsschutzes, »Informationen über solche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten«. Wenn der Besuch eines Fußballspiels gespeichert werde, dann haben laut Decker zu der betroffenen Person bereits Daten vorgelegen, »aus denen sich Anhaltspunkte für solche Bestrebungen ergeben hatten«. Bei der Frage nach V-Leuten mauert das Innenministerium erwartungsgemäß. Sprecher Decker erklärt: »Wie der Verfassungsschutz im Einzelnen an seine Informationen gelangt, unterliegt der Geheimhaltung. Über den Einsatz von V-Leuten erteilen wir grundsätzlich keine Auskunft.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.