Gefangen in der Klatsch-Kloake

Ab Dezember erscheint die Jugendzeitschrift »Bravo« nur noch 14-tägig - eine gute Entscheidung?

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 7 Min.
Keine Frage: Ohne die »Bravo« ging lange nichts; was für Teenager, die in ihrer Clique als »cool« gelten wollten, ebenso galt wie für all jene, die zum Teenie-Star aufzusteigen trachteten und es zu bleiben gedachten.

Wer hier hineinkommt, fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. An den Wänden kleben wild gemusterte Tapeten mit dem Hellelfenbein-Flair der Siebziger Jahre, von der Decke lugen weiße Lampen im Kronkorken-Style herab, im Raum verteilt stehen antiquierte Stoffsessel und braune Ledersofas. Eine heimelige Atmosphäre, die dieser Bar in Bremens Mitte einen passenden, wenn auch wenig originellen Namen gibt: »Wohnzimmer«. In Omas Kristallgläsern werden an abgenutzten Holztischen allerlei Getränke serviert. Welche genau, lässt sich natürlich der Getränkekarte entnehmen. Ein profanes Ding, normalerweise. Nicht so in dieser Kneipe: Auf jedem Mobiliar liegt ein Unikat, umrahmt mit einer alten Ausgabe der Jugendzeitschrift »Bravo«.

Bei der Suche nach dem gewünschten Drink kann es schon mal vorkommen, dass die Bedienung ungeduldig dreinblickend mit dem Kugelschreiber auf ihren Schreibblock tippt, weil sich ein Gast im schmökernden Schwelgen in seinen Jugenderinnerungen verliert. Ach, da steht ja ein Interview mit dem jungen Campino zu »Hier kommt Alex!« Dort am Seitenrand gab es vor zwanzig Jahren noch Brieffreundschaftsanzeigen mit Chiffre-Nummern! Und was für Fragen damals ans Dr. Sommer-Team gestellt wurden: »Ich weiß, dass ich mit der Spirale verhüten kann. Aber wie befestige ich sie an meinem Penis?«

Keine Frage: Ohne die »Bravo« ging lange nichts; was für Teenager, die in ihrer Clique als »cool« gelten wollten, ebenso galt wie für all jene, die zum Teenie-Star aufzusteigen trachteten und es zu bleiben gedachten. »Stars, Musik, Mode, Liebe - in allen wichtigen Themen für Heranwachsende war die «Bravo» jahrzehntelang führend«, bestätigt auch der Jugendforscher Klaus Hurrelmann im nd-Gespräch. Mit viel journalistischem Feinsinn habe man stets ein sicheres Gespür für die richtigen Sujets zur richtigen Zeit bewiesen.

Heute ist das ganz anders. Was sich seit etwa 15 Jahren rund um die »Bravo« abspielt, bietet reichlich Stoff für eine klassische Medientragödie. Lag die Auflage am Ende der 1990er Jahre noch bei 1,5 Millionen, verkauft man aktuell wöchentlich nurmehr 140 000 Hefte. Allein im Vergleich zum vergangenen Jahr stürzte die Anzahl verkaufter Exemplare um fast 40 Prozent ab. Freilich steht man damit nicht allein auf weiter Flur; andere Jugendmagazine verkaufen ebenfalls immer weniger Gedrucktes. So setzte das Spartenprodukt »Bravo Girl« 34 Prozent weniger Hefte ab, »Popcorn« verkaufte 32 Prozent weniger Zeitschriften und sogar die eher jung-akademische Erwachsene ansprechende »Neon« schrumpfte in der Auflage um 22,5 Prozent. Eine Sonderstellung nimmt die »Bravo« in diesem wilden Gewusel dennoch ein.

Zeichnet sich ihre Geschichte doch wie die keines anderen auf junge Menschen abzielenden Mediums durch Genre-Innovationen mal mit, mal gegen den jeweiligen Zeitgeist aus. So war etwa niemand anders als Brigitte Bardot 1959 Testimonial zum ersten Starschnitt - die Summe vieler wöchentlich erscheinender Einzelteile, die beim Zusammenkleben ein lebensgroßes Poster ergeben. Die lasziv zur Seite gekippte Hüfte der französischen Schauspielerin veranlasste das rheinland-pfälzische Sozialministerium, empört die Indizierung zu beantragen. Nur drei Jahre später startete die erste Aufklärungsserie »Knigge für Verliebte«, die die Leserschaft bei den »ersten zaghaften Ausflügen der Verliebtheit« beriet. Kirchenvertreter und Elternverbände liefen Sturm; nicht ahnend, dass es sieben Jahre später erst so richtig losgehen sollte mit der Enttabuisierung der Sex-Themen.

1969 nämlich nahm das Dr. Sommer-Team seine Arbeit auf, das sich in Frage-Antwort-Manier die sexuelle Aufklärung gegen eine das Schweigen zum Erziehungsprinzip erhebenden Elterngeneration auf die Fahnen schrieb. Allzu detaillierte Onanie-Tipps führten kurz darauf gar zur Indizierung einer ganzen Ausgabe. Im Laufe der Jahre erreichten die Redaktion manchmal bis zu 3000 Zuschriften pro Woche, und der Verlag stattete das Team personell so gut aus, dass es selbst jene beantworten konnte, die es nicht ins Blatt schafften, wie Jutta Stiehler jüngst im Interview mit der taz erklärte. Stiehler arbeitete 16 Jahre lang bei Dr. Sommer, bis man sie kürzlich entließ.

Die Dezimierung dieses einstigen Aushängeschildes der »Bravo« ist Teil des eingeschlagenen Wegs der Bauer Media Group, mit dem Auflagen- und damit auch mit dem Bedeutungsverlust umzugehen. Offenbar meint man hier, dass Jugendliche die Aufklärungsthemen im Online-Zeitalter nicht mehr brauchen; bewirbt der Verlag doch sein Erzeugnis nach wie vor mit dem Anspruch, »alle Informationen zu bieten, die Jugendliche für ihr soziales Leben benötigen«. Ab Dezember erscheint die »Bravo« nur noch alle 14 Tage, zudem stehen optische Veränderungen ins Haus: Neben einem festeren Umschlag wird der Basisumfang um zwölf Seiten aufgestockt.

Erst 2013 hatte man mit Nadine Nordmann eine neue Chefredakteurin inthronisiert, die eine Wende einläuten sollte. Sie kam aus dem Bereich jener sich gegen jeden Print-Trend wie geschnitten Brot verkaufenden Käseblättchen (»Gong«, »Bild und Funk«), die ihre Titelstories am liebsten reißerisch angehen; etwa einen »Seitensprung-Skandal um Helene Fischer!« aufdecken, nach dessen Lektüre im Innenteil sich herausstellt, dass es lediglich eine Bekannte des Patenonkels der Nichte der Schlagersängerin gewesen ist, die sich ein Techtelmechtel genehmigte. Es war eine einfache Rechnung: Nordmann sollte diese Strategie auf »Bravo« übertragen und sich sodann entspannt im Chefsessel zurückgelehnt heitere Nachrichten über eine wieder rasant steigende Auflage auftischen lassen. Wie die Zahlen zeigen, hätte man kaum grandioser scheitern können. »Die Jugendlichen«, meint Hurrelmann, »lassen sich eben nicht für dumm verkaufen. Beim Bauer Verlag hat man überhaupt nicht gemerkt, dass sich der allgemeine Bildungsgrad der Jugend über die Jahre hinweg massiv erhöht hat«.

Unter Nordmann, die nach Dienstantritt großmäulig die »geilste Bravo aller Zeiten« ausgerufen hat, gibt sich die Zeitschrift anbiedernd-ranschmeißerisch (»Schreib mir! Deine Nadine!«), verwendet überwiegend die Printsprache der Neunziger (»Kylie zwischen zwei Boys!«, »Okay ist, was beide antörnt!«, »Jakob ist total geflasht von seiner neuen Mitschülerin«) und gibt journalistische Inhalte für dümmliche »Imitiert-die-Mode-der-Stars«-Werbung preis. Sowohl der Bereich »Liebe, Sex und Zärtlichkeit«, als auch die informative und teilweise gar investigative Berichterstattung über die Welt der Stars, beides einst Markenkerne, wurden und werden konsequent zurückgefahren. Im Dr. Sommer-Team arbeiten aus Kostengründen mittlerweile sogar Volontäre ohne jede sozialpädagogische Ausbildung.

Stattdessen verfälscht und stilisiert die Redaktion permanent Nichtigkeiten zu Aufregern. Im Frühjahr bildete sie auf dem Cover eine dickbäuchige Rihanna ab, darunter stand alarmistisch: »Oh my God! Ist sie schanger?«. Schnell stellte sich heraus, dass die Fotos bearbeitet waren, denn bis heute hat der US-Popstar noch keinem Baby das Leben geschenkt. Die prätentiöse Titelstory »Sex bei Wetten, dass!? Wen Miley Cirus heimlich vernascht hat« entpuppte sich im Artikel in der Heftmitte als kalkulierte Irreführung, weil die Musikerin lediglich dem Schauspieler Elyas M'Barek zugezwinkert haben soll.

Klaus Hurrelmann vermisst eine Antwort der »Bravo« auf das »veränderte Mediennutzungsverhalten junger Menschen weg vom Printprodukt«, denn online sieht es derzeit noch weitaus schlimmer aus. Eine Kostprobe der Facebook-Postings der vergangenen Tage: »Dieser Arzt findet den größten Popel aller Zeiten!!!«, »Auaaa! Was passiert, als dieser Typ mit einer Erektion in die U-Bahn einsteigt?«, »Wusstest du, dass du dein Smartphone als Furzkissen nutzen kannst?«. Wenn die »Bravo« ihrer Leserschaft nicht schleunigst niveauvollere, interaktive Kommunikationsmöglichkeiten biete, warnt der Berliner Professor, »dann gehen dort bald die Lichter aus«.

Weil den Verantwortlichen im Verlag dämmert, dass es so nicht weitergehen kann, kündigen sie neben formalen nun auch inhaltliche Neuerungen an: »Bravo bietet künftig mehr Lebensnähe und stellt sich thematisch wieder breiter auf«, so eine Pressemeldung des Verlags. Man wolle im Magazin »den Anteil an lesernahen, teils interaktiven Lifestyle-Themen erhöhen«. Was diese mit Marketing-Sprech verkleisterte Ankündigung konkret bedeutet, bleibt einstweilen abzuwarten. Es dürfte ein letzter Versuch sein, dem seit Jahren wie Blei am Kiosk liegenden Produkt doch nochmal Schwung zu verleihen. Eine grundlegende Neuausrichtung ist gleichwohl nicht zu erwarten. Schwer vorstellbar, dass man in 25 Jahren in einer Bremer Kneipe sitzen und »Bravo«-Ausgaben der Jahre 2014 und 2015 sehnsüchtig-verklärend durchblättern kann. Ein gewisser Nostalgie-Wert würde sich lediglich für den gar nicht so unwahrscheinlichen Fall ergeben, dass es die letzten Jahrgänge der legendären Zeitschrift sein sollten.

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