In alten Stiefeln gegen die neue Zeit
Von Marcus Meier
Sollte man den Aufruf »für bezahlbaren Strom und gute Arbeitsplätze« unterschreiben? Die DGB-Gewerkschaften machen es Menschen nicht leicht, denen sozialer wie ökologischer Fortschritt am Herzen liegt und die deshalb eine linke Politik erstreben, die beides in Einklang bringt. »Bezahlbarer Strom«, »gute Arbeitsplätze« und »sozialverträglich« – das klingt erst einmal gut. Die Energiewende hat tatsächlich eine unsoziale Schlagseite, da haben die Gewerkschaften recht. Ihre Kosten werden auf die Verbraucher abgewälzt, massenhafte Stromsperren sind völlig inakzeptabel.
Doch dann gerät sie auch schon in Hörweite: die alte Phrasen-Litanei. Wachstum! Wettbewerbsfähigkeit! Kohle! Statt Ideologie! Es ist das Lied der angeblich drohenden Deindustrialisierung, das der DGB in seinem Aufruf anstimmt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der den Protest-Song einst komponierte, könnte kaum schriller trällern.
Die Gewerkschaften rennen in alten Stiefeln gegen die neue Zeit an. In ihrer Sicht gerät der Umstieg auf Erneuerbare Energien zum Arbeitsplatzkiller. Es sei denn, er wird noch massiver als bisher ausgebremst zu Gunsten der Kohlekraft. Also zu Gunsten vor allem von RWE und Vattenfall. Das jedoch würde auf Kosten des Planeten gehen. Kohle ist derzeit der Klimakiller Nummer eins.
»Wenn wir ›unsere‹ Groß-Konzerne vor Sonne-, Wind- und Wasser-Kraft beschützen, dann geht es ihnen gut und damit auch den Beschäftigen«, so lautet das Motto der Gewerkschafter. In diese »Wir sitzen alle im selben Boot«-Logik fügt sich die Gründung des neuen Bündnisses »Zukunft der Industrie« nahtlos ein. IG Metall, BDI und Bundeswirtschaftsminister Gabriel wollen »im Dreiklang« gemeinsam »verbindliche Handlungsstrategien« absprechen. Das Ziel ist es, »die industrielle Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland zu stärken«.
Natürlich geht es dabei nicht nur, aber insbesondere auch um »die Herausforderungen bei der Umsetzung der Energiewende« (Zitat Gabriel). Herausforderungen? Nüchtern betrachtet: Die vier großen Stromkonzerne haben den Zwang zur Veränderung über viele Jahre hin ignoriert – und Aber-Milliarden in Atom- und Kohlekraft fehlinvestiert. Nun droht den vier kapitalistischen Dinosauriern das Aussterben: Schuld sind sie selbst, nicht die als zu ambitioniert bloß empfundene Energiewendepolitik.
Längst konkurrieren neue Akteure mit den alten Oligopolisten. Sie vermarkten ausschließlich umweltfreundlichen Strom. Oft stehen sie in genossenschaftlichem, mitunter in öffentlichem Eigentum. Damit sollten sie klugen Gewerkschaftern als unterstützenswert gelten.
Die real existierenden gewerkschaftlichen Co-Manager hingegen übersehen Zweierlei: Die Erneuerbaren Energien sind nicht nur ökologisch, sondern – Stichwort: Bezahlbarkeit! – auch ökonomisch sinnvoller. Und was die Arbeitsplätze betrifft: Hunderttausende Menschen fanden Lohn und Brot dank Solarzellen und Windrädern. Wie viele dieser Jobs sollen der anachronistischen Kohlekraft geopfert werden? Nun, am besten keiner. Und dehalb hat der Aufruf keine Unterschrift verdient.
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