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Sonderfall Gagausien

Der Präsident ist skeptisch

  • André Widmer
  • Lesedauer: 2 Min.

Wie das faktisch abgespaltene, aber völkerrechtlich weiterhin zur Republik Moldau gehörende Transnistrien, ist die im Süden gelegene Region Gagausien mehrheitlich pro-russisch eingestellt. Zu Beginn der 1990er-Jahre fürchtete man um seine Rechte und eine »Rumänisierung«.

Anders als in Transnistrien jedoch kam es beim Zusammenbruch der UdSSR in Gagausien nicht zu einem bewaffneten Konflikt. Seit 1994 verfügt Gagausien innerhalb der Republik Moldau verfassungsmäßig gesichert über einen Sonderstatus. Die rund 160 000 Gagausen sind eine turkstämmige, christlich-orthodoxe Minderheit.

Präsident Gagausiens ist Mihail Formuzal. Beim Gespräch mit »nd« äußerte sich Formuzal sehr kritisch zur Politik Moldawiens und damit auch zum Assoziierungsabkommen mit der EU: »Die Unterschrift war übereilt.« Seit der moldauischen Unabhängigkeit vor 23 Jahren habe man keinen Aufbau der Sozialgesellschaft sehen können, es sei Clan auf Clan und Partei auf Partei gefolgt. »In Gagausien würden 70 Prozent zurück in die Sowjetunion gehen, selbst ich. Wir hatten damals nämlich Sozialpakete.«

In der moldauischen Politik macht der gagausische Präsident eine Pervertierung der Demokratie aus. Denn Politiker würden die Seiten wechseln, nur um zu profitieren. Und über die Autonomie Gagausiens sagt Präsident Formuzal: »Sie existiert nur auf dem Papier, nicht in der Realität.« Selbst einfache Berufstätige müssten für Bewilligungen in die moldauische Hauptstadt Chisinau fahren.

Es habe in den letzten Jahren keine Dezentralisierung, sondern vielmehr eine Zentralisierung stattgefunden. klagte Formuzal. Für Russland hat er keine bösen Worte. Im Gegenteil. »700 000 Moldauer arbeiten in Russland. Wenn Russland wollte, könnte es Moldau mit einer Einreiseverweigerung für die Gastarbeiter sehr leicht destabilisieren.«

Ein Student der gagausischen Universität in Comrat, der seinen Namen nicht gedruckt wissen möchte, beurteilt die Situation etwas pragmatischer als der Regierungschef der Region. »In zehn Jahren werden die Investitionen aus Europa in Gagausien größer sein als die aus Russland.« Nötig seien Straßen, Bildung und Medizin wie in Europa. »Mit Russland verbinden uns Religion, Sprache und Traditionen. Aber der proeuropäische Kurs ist ökonomisch gesehen besser.«

André Widmer

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