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Und der Tod fährt mit

Deutsche Organisation kontrolliert Viehtransporte in Norditalien

  • Michael Scheuermann
  • Lesedauer: 6 Min.
Auf ihrem Weg quer durch Europa müssen Tiere teilweise über 30 Stunden in ihren Boxen verharren. Immer wieder verenden Pferde, Schafe und Schweine wegen schlechter Beförderungsbedingungen. Eine Tierschutzorganisation kämpft unermüdlich für einen artgerechten Transport.
Trotz Rinderwahn und Vogelgrippe bewegt sich der europäische Fleischkonsum auf hohem Niveau. Nachfrage und Handelsspannen bestimmen, wo Fleisch produziert, geschlachtet und verarbeitet wird. Dafür karren Lkw beispielsweise Lebendvieh von Belarus 3000 Kilometer weit in die Schlachthäuser Süditaliens. So kostengünstig wie möglich und ungeachtet der Strapazen, denen die Tiere ausgesetzt sind. Besonders in Ost- und Südeuropa häufen sich Fälle nicht tiergerechter Beförderung. Immer noch lassen Kontrollorgane solche Transporte aus Unwissenheit oder Desinteresse unbehelligt. Unter dem Slogan: »Wir sind bei den Tieren« begleitet die von Freiburg aus agierende Tierschutzorganisation »Animals Angels« (AA) Transporte und schreitet ein, wenn die Tiere auf dem letzten Weg über die Maßen gequält werden oder gar jämmerlich zu verenden drohen.
Ferienzeit! Zehn Uhr morgens, das Thermometer zeigt 30 Grad. Auf dem kleinen slowenischen Autobahn-Parkplatz westlich von Ljubljana unterbrechen nur wenige Touristen die Fahrt zum Mittelmeer. Iris Baumgärtner und Tea Dronjic warten mit ihrem Kombi aus Deutschland bereits seit Stunden dort, die Augen auf den rollenden Verkehr gerichtet - Routinearbeit für die mit blauen Westen und Schildkappen ausgerüsteten Angels-Mitarbeiter. Gerade hat Tea Kaffee geholt, da kommt der Lastzug. Ein prüfender Blick: Pferde! Schon ist er vorbei und außer Sicht.

Auf Verfolgungsjagd
Die halb vollen Tassen auf dem Tablett zurücklassend, jagen die beiden Frauen kurz darauf in Richtung Italien. Schnell schließen sie zu dem Tiertransporter aus Polen auf und können sich bei 90 km/h einen ersten Eindruck von den auf Zugmaschine und Anhänger gepferchten Pferden verschaffen.
Scheint alles OK, doch das dahinter stehende italienische Fuhrunternehmen ist wegen wiederholter Verstöße gegen Transportauflagen bekannt. Ein Blick in die Telefonliste und eine Handyanfrage bei umliegenden italienischen Rastställen für Langstreckentransporte ergibt: Trotz nahezu 24-stündiger Fahrt vom mittelpolnischen Radom durch die Slowakei, Ungarn und Slowenien wurden die Ställe für eine fällige Transportpause von wiederum 24 Stunden nicht angesteuert - ein Verstoß gegen EU-Vorschriften. Nach einer Mautstelle und einer Grenzkontrolle verlieren die »Angels« den Lastzug wieder, doch ihr Entschluss steht fest: Der Lkw soll gestoppt oder - wenn das nicht gelingt - bis zum Schlachthaus verfolgt werden.
»Die Tiere sind bereits Tag und Nacht stehend unterwegs«, erklärt
Pferdeexpertin Iris. Da sich die Rösser selbst zum Schlafen nicht hinlegen, heiße das ununterbrochen harte Beinarbeit, um die ständigen Fahrzeugbewegungen auszugleichen. Dabei könnten sich die Tiere nicht wie Menschen an Haltegriffen vorm Umfallen sichern. Sie seien nach 24 Stunden völlig erschöpft und brauchten dringend Ruhe.
Die 42-jährige Diplomgeografin und die 12 Jahre jüngere Tierärztin Tea bilden eines von vier Teams in einem Großeinsatz Ende Juli rund um das nördliche Mittelmeer. Sie kontrollieren zehn Tage lang Viehtransporte aus Osteuropa, Frankreich, Spanien und Portugal zu den Schlachthöfen vornehmlich in Süditalien. In ständigem Handykontakt stimmen sie die Aktion über Ländergrenzen hinweg ab, tauschen Informationen aus und beraten sich gegenseitig.

Stetige Anstrengungen
Erst am Vortag hat ein Team südlich von Mailand einen Viehtransport aus Andalusien mit einem bereits verendeten Pferd und darüber gestürzten Tieren gestoppt. Fünfstündige Anstrengungen in sengender Hitze, zusammen mit Polizei und Tierarzt, die bereits 30 Stunden nonstop transportierten Pferde in Notstallungen unterzubringen und den Pferdekadaver zu beseitigen, sind gescheitert. Mit hohen Bußgeldern belegt, muss der Transporter einschließlich des toten Tieres seine Fahrt zum Schlachthof bei Bari fortsetzen - vom AA-Team begleitet.
Die Verstöße hätten jedoch deutlich abgenommen - nicht zuletzt dank der Beharrlichkeit ihrer Tierschutzorganisation, ist Animals-Angels-Gründerin Christa Blanke überzeugt. Als sie vor zehn Jahren erstmals einem Tiertransport folgte, sei noch »buchstäblich Blut aus den Lkw getropft«. Kontrollen habe es kaum gegeben. Schlachtviehtransporte sollten ganz eingestellt werden oder zumindest nur noch regional erfolgen, fordert die Theologin und Tierschützerin. Da sie aber Langstreckentransporte nicht verhindern könne, versuche sie wenigstens das damit verbundene Leid zu mindern. Anfangs führte sie die unzureichenden Behördenkontrollen vor allem auf Unkenntnis über die Transportgesetzgebung zurück.
Aber nicht anklagen wollte sie, sondern mit den Behörden ins Gespräch kommen. Mittlerweile verfügt sie über ein Team von 15 in der Regel akademisch ausgebildeten Fachleuten, die auch »diplomatisch geschickt und sprachgewandt sein müssen«, ergänzt die Geschäftsführerin des 1998 gegründeten Vereins. Deren Aufgabe sei es, bei Missständen mit Polizei und Veterinärämtern, Transporteuren, Marktbetreibern, Schlachthöfen und Stallbesitzern zu verhandeln.
Doch nicht nur in Süd- und Osteuropa, sondern mittlerweile auch in Nahost, Australien, den USA und Kanada hat die Organisation Stützpunkte aufgebaut, um ihren gelegentlich nicht ganz ungefährlichen Überzeugungsfeldzug fortzusetzen. So wurden sie schon körperlich bedroht, Fahrzeuge wurden beschädigt. Inzwischen haben die Animals Angels auf EU-Ebene Beraterstatus, betont die Mittfünfzigerin. Sie verfassen länderspezifische Leitfäden und bilden Veterinäre und Polizisten weiter. »Mehr Handlungs- und Rechtssicherheit im Umgang mit Tiertransporten« habe er durch die Fortbildung erworben, bestätigt Oberkommissar Michael Frenser, einer der 20 Teilnehmer von der hessischen Autobahnpolizei. In Italien wurden bereits 500 Kollegen geschult.
Zwei Stunden später: Die Tierschützerinnen holen den Pferdetransport kurz vor Venedig ein. Sie versuchen ihn auf eine Raststätte zu lotsen, ohne Erfolg. Als der Lkw bei nunmehr 38 Grad im Stau steht, nehmen sie die Tiere genauer in Augenschein. Sie entdecken Stuten, die ohne Trenngitter neben Hengste gepfercht sind. So könnten sie von erregten männlichen Tieren totgetrampelt werden, erklärt Tea. Ein Tier trägt Fußfesseln - qualvolle Einschränkung der natürlichen Bewegungsfreiheit. Beides ist nicht erlaubt. Darauf angesprochen, reagiert der Fahrer ungerührt und setzt seine Fahrt fort. Die telefonisch verständigte Polizei muss passen. Sie hat keinen Einsatzwagen frei.

29 Stunden nonstop
Nach zwei weiteren Stunden verlässt der Transporter bei Verona die Autobahn. Unvermittelt drängt sich eine schwarze Limousine vor das AA-Fahrzeug und bremst das Team aus, bis der Lastzug außer Sicht ist. Auf einem Seitenweg entdecken die beiden den Transport wieder und rufen die zuständigen Carabinieri an, aber die stellen sich taub. Der Pferdelaster fährt weiter und das »Spiel« mit der ominösen Limousine beginnt von vorn, aber das Duo bleibt dran. Auf einem Schlachthof unweit des Gardasees wird es fündig. Der telefonisch herbeigerufene Amtsveterinär behandelt die unerschrockenen Animals-Vertreterinnen mit Respekt und lässt sie unter den wütenden Blicken der an dem Versteckspiel beteiligten Männer auf das Gelände.
Routiniert begutachten Tea und Iris die entladenen Tiere. Laut Frachtpapieren waren die bereits 29 Stunden nonstop unterwegs. Das Ergebnis erschreckt. Durch grobe Halteseile aufgerieben, weisen Tiere blutige Wunden bis auf den Nasenknochen auf; die Vorderläufe des auf der Fahrt gefesselten Hengstes haben tiefblutige Einschnitte. Der Veterinär verspricht, das Fuhrunternehmen für die nicht tiergerechte Beförderung zu belangen. Ein Bericht der Animals-Zentrale geht an die Behörden.
Es ist Abend geworden. Das erschöpfte Team gönnt sich eine Verschnaufpause und eine Portion Spaghetti. Danach heißt es 300 Kilometer zurück nach Slowenien zu fahren, um sich nach einer kurzen Nacht im Hotel erneut auf die Lauer zu legen.
Bilanz: 15 000 Kilometer haben die Teams während dieser Aktion zurückgelegt, über 60 Transporte kontrolliert und rund ein Viertel wegen schwerer Verstöße gestoppt. Ein Pferd ist tot, zwei mussten notgeschlachtet werden. Hart, aber »nicht mehr so schlimm wie früher«, betonen die Tierschützerinnen, und weitere schwarze Schafe würden abgeschreckt. Aber mit einem Gesamtaufwand von rund 30 000 Euro war das Unternehmen sehr kostspielig für die auf Spenden angewiesene Organisation.

www.animals-angels.de

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