Zerrbild und Vorbild
Tom Strohschneider über das Verfahren gegen Bodo Ramelow, sächsische Verhältnisse und den Protest gegen Neonazis
Die sächsische Justiz will ein Verfahren gegen Bodo Ramelow fortsetzen und hat beantragt, seine Immunität als Landtagsabgeordneter aufzuheben. So weit, so recht. Der Fall macht Schlagzeilen, weil der Politiker inzwischen erster Ministerpräsident aus der Linkspartei ist. Einem Gericht wird man nicht schon deshalb leichtfertig die Unabhängigkeit absprechen. In diesem Fall aber bleibt mehr als ein Geschmäckle.
Erstens, weil es in der Sache praktisch nur noch um eine Kostenfrage geht und monatelang nicht passierte – bis kurz vor der Ministerpräsidentenwahl. Warum jetzt? Zweitens, weil es um antifaschistisches Engagement geht und der Richter in dem Fall vor längerer Zeit von einer »negativen Vorbildfunktion« Ramelows sprach – was für ein Zerrbild! Gerade auch angesichts der wachsenden Zahl rechter Aufmärsche. Dass hier friedlicher Protest gegen rechten Ungeist als schlechtes Beispiel diffamiert wird, ist drittens leider üblich: Die sächsische Justiz hat in den vergangenen Jahren immer wieder demonstriert, dass ihr an Kriminalisierung von demokratischer Zivilcourage gelegen ist. Die Prozesse gegen die Antifaschisten Tim und Lothar König sind nur zwei Beispiele dafür.
Immerhin: Die Aufmerksamkeit, die der Fall bekommt, vermag einen Beitrag dazu zu leisten, über die »sächsischen Verhältnisse« aufzuklären – die sich schon gegen viele Couragierte richteten. Und er macht eines klar: Widerstand gegen Nazis, auch gegen den grassierenden, als »Islamkritik« verbrämten Rassismus, braucht Mut – und vorbildhafte Leute, die sich nicht einschüchtern lassen, wenn Gerichte mit Verfahren drohen. Wenn darunter ein Ministerpräsident ist, umso besser.
Übrigens: Es ist nicht Sache der Behörden, »die Naziminderheit vor der Mehrheit der Demokraten zu schützen, wenn sich Angehörige dieser Mehrheit friedlich im Protest gegen NPD und Co. versammeln und gegen diese und ihre Ziele demonstrieren, und die Folge dieser friedlichen Demonstration ist, dass die Rechten ihre vorgesehene Marschroute nicht entlanglaufen können«, haben zwei kluge Juristen in dieser Zeitung einmal formuliert. Dem ist nichts hinzuzufügen.
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