»Der Gipfel organisierter Gewalt ...

Kathrin Gerlof mit einem Fernsehtipp zum Jubel einer ganz großen Koalition über die letzte Sozialreform

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 3 Min.

... ist die Staatsgewalt.« Das hat, sinngemäß, Georg Schramm gesagt, dem wir verdanken, dass es im Fernsehen manchmal politisch zuging. Deshalb hatte der Mann auch immer weitaus bessere Einschaltquoten als der Deutsche Bundestag, in dem es ja weniger um Politik, stattdessen mehr um Selbstdarstellung und die Einhaltung immer gleicher Rituale geht. 54 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten, die manchmal auch Bürgerinnen und Bürger sind, wissen, welche Parteien derzeit die Opposition im Bundestag bilden. Bei den 16- bis 29-Jährigen sind es gar nur 38 Prozent. Und nur 27 Prozent haben es sich in den vergangenen Monaten angetan, mal eine Bundestagsdebatte im Radio oder Fernsehen zu verfolgen. Was soll das auch bringen? Alles ist vorhersehbar.

Deshalb wird die sicher großartige Debatte, die das Parlament zum Thema »Zehn Jahre Hartz IV« führen wird, ungehört und ungesehen verhallen. Wie schade ist das denn?

Kathrin Gerlof

Kathrin Gerlof ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt in Berlin.

Wenigstens das prekarisierte Hartz-IV-Volk könnte sich vor den schrankwandgroßen Fernseher setzen und am Freitag zwischen 11.10 Uhr und 13 Uhr bei Chips und Cola oder einem Sternburger Bier die Debatte verfolgen. Die Rednerinnen und Redner der teuren Toten SPD werden einmal mehr erklären, dass die größte Sozialreform dieses Jahrhunderts - eine weitere wird es nicht geben, denn bei der nächsten können wir das Wörtchen »Sozial« ganz streichen - ihre gute Wirkung entfaltet hat. Die Christdemokraten werden sich erneut dafür bedanken, dass nicht sie es waren, die den Sozialstaat endgültig abgeschafft haben, sondern die Sozialdemokraten zusammen mit den Grünen (solche Freude nennt man einen permanenten politischen Orgasmus).

Wir sind toll durch die Krise gekommen, die Arbeitslosenzahlen sind gesunken zugunsten prekärer Jobs, aber eben Jobs, der Niedriglohnsektor boomt wie nix, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse sinkt, immer mehr Familien haben gelernt, dass bildungsferne Kinder auch ihre Vorteile haben. Die Eigenverantwortung ist gestiegen - die Leute lassen sich zum Beispiel nicht mit dem Taxi zur Tafel fahren, sondern laufen hin. Die unproduktiven Gesellschaftsmitglieder sind als sogenannte Langzeitarbeitslose identifiziert und könnten jederzeit in Arbeitslager überführt werden. (Dafür mangelt es allerdings noch an politischem Willen.)

Die Unterschicht bildet eine solide Basis unserer Gesellschaft, die Sanktionen, mit deren Hilfe den Faulen Beine gemacht werden, bescheren Gerhard Schröder wahrscheinlich regelmäßig feuchte Träume, und wenn die AfD vielleicht irgendwann mal im Bundestag sitzt, werden wir endlich auch ernsthaft darüber diskutieren können, ob die Wiedereinführung von Arbeitshäusern (das hat doch im 17. Jahrhundert auch schon gut geklappt) nicht ein Gebot der Stunde ist.

Ja, das wird eine schöne Debatte, auch wenn Biermann leider nicht geladen ist, um eine Ballade auf den Wohlfahrtsstaat zu singen, dem zwar die Wohlfahrt ein bisschen abhandengekommen ist, der aber stattdessen sehr schön das Wort GEWALT in Versalien gesetzt hat. Das ursozialdemokratische Ziel einer prekären Vollerwerbsgesellschaft ist ganz nah, wir können es schaffen. Wer das nicht glaubt, dem sei gesagt, dass es zu weiteren Arbeitsmarktreformen sowieso keine Alternative gibt. Das hat die teure Tote immer erklärt und die Partei hat bekanntlich immer Recht. Vor allem, wenn sie von den Arbeitgebern abschreibt, die richtigerweise darauf hinweisen, dass unser Abendland untergehen wird, wenn wir die Lohnzurückhaltung aufgeben.

Der Unterschicht sei also angeraten, am Freitagmittag dem Rat des einstigen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck - »Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job« - zu folgen, sich nach dem Friseurbesuch gemütlich vor den Breitwandfernseher zu setzen und zu lauschen, wie sich eine Große Koalition auf eine noch größere Schweinerei einen runterholt. Prost!

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