Ein Schrittchen Richtung Frieden
Martina Michels über die Forderung des EU-Parlaments, Palästina als Staat anzuerkennen
Luftangriffe, Panzer, Selbstmordattentäter, Menschen auf der Flucht - der Nahe Osten kommt seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe. Generationen wachsen in Unsicherheit auf. Der innere Frieden ist ohne den äußeren nicht zu finden. Die dramatischen Ereignisse in der Region haben die Politik erneut wachgerüttelt. Wenn es nicht gelingt, der palästinensischen und der israelischen Bevölkerung eine Perspektive zu geben, selbstbestimmt über ihre Zukunft zu entscheiden, ist eine Befriedung unmöglich. Zahlreiche Parlamente haben daher in den vergangenen Monaten ein politisches Zeichen gesetzt und fordern von ihren Regierungen die Anerkennung des Staates Palästina.
Die Europäische Union besitzt nicht die verfassungsrechtliche Kompetenz zur Anerkennung von Staaten. Ihre politischen Institutionen haben jedoch zunehmend eine klare Position entwickelt: Dass eine Zwei-Staaten-Lösung mit Jerusalem als Hauptstadt beider, in den Grenzen von 1967, auf der Grundlage der Beschlüsse der UN-Generalversammlung von 1948 sich als einzig realistische darstellt.
Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat niemand den richtigen Weg zu diesem Ziel weisen können. Trotz Phasen, in denen eine Friedenslösung greifbar schien, ist die Situation gerade in den vergangenen Jahren immer wieder eskaliert, radikale Positionen drohen auf beiden Seiten immer stärker zu dominieren. Ein Weiter darf es nicht geben und ein Zurück zum Status Quo vor dem Krieg im Sommer 2014 kann auch keine Option sein.
In dieser Situation hat das Europäische Parlament bereits im November diskutiert, wie die EU-Mitgliedsstaaten die dringend notwendigen Friedensbemühungen durch eine Anerkennung der Staatlichkeit Palästinas unterstützen können.
Dafür gibt es gute Argumente. Verhandlungen auf Augenhöhe würden einem palästinensischen Staat überhaupt erst ermöglicht. Doch zugleich müssten diejenigen Länder in der arabischen Welt den Staat Israel anerkennen, die das bislang verweigern. So könnte ein Gleichgewicht entstehen.
Die palästinensische Einheitsregierung wiederum muss endlich die Aufgaben einer ordnenden und steuernden Regierung erfüllen. Bisher wurde lediglich einem Teil der Palästinensischen Gebiete begrenzte Autonomie eingeräumt. 83 Prozent des Westjordanlandes sind noch immer unter Kontrolle Israels. Die Siedlungspolitik Israels stellt ein offensives Instrument zur Verhinderung der Konfliktlösung dar. Auch im Gaza-Streifen blieb die Kontrolle der äußeren Sicherheit nach Rückzug des israelischen Militärs 2005 in der Hand Israels. Andererseits gehen Gewalt und Terrorakte gegen Israel von palästinensischer Seite aus, die den Zweifel auf israelischer Seite, ob eine Anerkennung als Staat nützen würde, nachvollziehbar erscheinen lassen.
Die Linksfraktion im EU-Parlament hatte in den Verhandlungen um einen Beschluss auf einen klaren Appell für die Anerkennung Palästinas gedrängt. Zugleich ist das Eintreten gegen jede Form von Antisemitismus und für das unantastbare Existenzrecht Israels als Staat, auf der Basis einer demokratischen Grundordnung und in sicheren Grenzen, Teil unseres Grundkonsenses als deutsche LINKE. Gerade in der aktuellen Situation in Nahost sind Jüdinnen und Juden sowohl in Europa verstärkt antisemitischen Angriffen ausgesetzt und leidet die israelische Bevölkerung unter extremen Bedrohungssituationen.
Der Kompromisstext, der am Mittwoch mit großer Mehrheit von 498 zu 88 Stimmen verabschiedet wurde, ist nicht deckungsgleich mit allen unseren Forderungen. Doch obgleich es dort unverbindlicher heißt »... unterstützt prinzipiell die Anerkennung der palästinensischen Staatlichkeit und der Zwei-Staaten-Lösung und glaubt, dass beides mit der Entwicklung der Friedensgespräche Hand in Hand gehen sollte«, drängten auch unsere palästinensischen Kooperationspartner auf unsere Zustimmung. Denn es geht bei der Auseinandersetzung um viel mehr als »nur« einen neuen Staat. Für Israel wie Palästina geht es um Existenzrecht und Existenzfähigkeit. Der verabschiedete Text fordert deutlich eine Verhandlungslösung zwischen Israel und Palästina. Er nimmt beide in die Verantwortung - wie auch die arabischen Staaten und die EU. Oberstes und gemeinsames Ziel muss eine gewaltfreie Lösung des Nahostkonfliktes sein. Es ist der berühmte Spatz in der Hand, ein Schrittchen, aber wenigstens in eine friedlichere Richtung.
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