Kein Witz, sondern: Deutschland im Dezember 2014

In einer Kneipenstraße herrscht meist keine himmlische Ruhe - aber man ja mal darauf klagen. Nicht nur im Berliner Prenzlauer Berg, sondern auch in Fürth

Es war ein schöner Abend gewesen. Das Fußballspiel, zu dessen Zwecke ich in Fürth war, hatte dazu zwar nicht unbedingt beigetragen, aber geschenkt. Auch nach einem Red-Bull-Auswärtssieg hat man ja das Recht und die Pflicht, den Abend nicht im Hotelzimmer ausklingen zu lassen.

Wie gut traf es sich da, dass das örtliche Traum-Wirtshaus, wunderbar zentral gelegen, fürs Hinterzimmer eine Cover-Band angekündigt hatte, die die alten Helden aus den 60ern und 70ern drauf zu haben behauptete.

Ich wurde schon dezent stutzig, als die nette Frau an der Kasse von mir nicht den angeschlagenen Preis von 5 Euro verlangte, sondern weniger. Es war doch erst 21 Uhr 15. Zu dieser Zeit überlegt man normalerweise erst, ob man später noch losgehen will. Exakt 42 Minuten später begriff ich, was los war. Zwischenzeitlich hatte die wirklich ganz hervorragende Band es geschafft, weder Hendrix, Doors noch Led Zeppelin zu verhunzen und dabei sogar bessere Soli zu spielen als mancher der Helden. Und dennoch passierte Groteskes, als die Band behauptete, sie habe gerade ihren letzten Song gespielt und lasse im Übrigen herzlich grüßen. Denn nun eilte die enthusiastische Frau von der Kasse nach vorne zum Gitarristen, reckte den Daumen und gab so das Signal zu einer (!) Zugabe. Wow.. Doch selbst die scheint in Fürth um 21h57 nicht mehr gestattet zu sein, wie der Kommentar des Manns vom Zapfhahn erahnen ließ: »Mann, es ist gleich zehn Uhr!«

Als um 22 Uhr 01 die Band in den letzten Zügen von »Wild thing« war, hatte längst auch die Frau Panik erfasst. Wie meschugge klatschte sie nach jeder Minipause (Kenner wissen: Kommen ein paar mal, vor »you move me«) , als ob irgendein Musiker einen Song mittendrin abbrechen würde. Um 22 Uhr 03 war Schluss. Erleichterung am Zapfhahn, Gleichmut im Publikum. Waren wohl ausschließlich Stammgäste.

Das anschließende Kneipengespräch lieferte Aufklärung: In Fürth beschäftigt ein Anwohner der Kneipenstraße (in ebendieser befindet sich das Etablissement naheliegenderweise auch) seit Jahren die Gerichte, weil er es gerne so ruhig hätte wie auf einer Hallig. Anstatt dem Mann einen guten Therapeuten zu empfehlen, muss solch Querulantentum heute allerdings offenbar ernstgenommen werden, weshalb tausende Feierwillige und die Gastronomie, die von ebendiesem Grundbedürfnis lebt, auf den Mann Rücksicht zu nehmen haben. Nur wenige Tische draußen, nach Fußballspielen nur Pappbecher und nach 22 Uhr möge auch aus den Kneipen nichts dringen, das anders klingt als Waldesruhe.

Aber wundert einen das in einem Land, in dem gerade zwangsweise ein paar Millionen Rauchmelder angebracht wurden? In dem Grundschüler keine Kerzen an Adventskränzen mehr anzünden dürfen – selbst dann nicht, wenn die Lehrerin dabei ist? Neulich las ich, dass in diesem Jahr erstmals auch Weihnachtsbäume in den Aulas der Schulen verboten sind. Wir ahnen: Massive Feuergefahr. Hätten ich als Journalist ein klein wenig mehr Zeit, ich hätte landesweit recherchiert, ob es in der Geschichte der Bundesrepublik je einen Schul-Brand gegeben hat, der durch brennende Tannenbäume hervorgerufen wurde.

In diesem Sinne wünsche ich allen schöne Weihnachten. Essen Sie ihre Weihnachtsgans dieses Jahr roh, der Ofen könnte in Flammen aufgehen.

P.S. In Fürth hat man in der vergangenen Woche einen Vergleich gefunden. Die Kneipen müssen nicht schließen, dürfen aber ab 23 Uhr draußen zu machen. Und Aufstiegsfeiern der Spielvereinigungen Greuther Fürth dürfen stattfinden. Aber nur einmal alle fünf Jahre. Das ist kein Witz. Das ist Deutschland im Dezember 2014.

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