Demokratiekonformer Kapitalismus
Friedhelm Hengsbach bringt die Verteilungsdebatte auf den neuesten Stand
»Teilen, nicht töten« heißt das neue Buch des Sozialethikers Friedhelm Hengsbach. Der Titel wirkt etwas verstörend, ist aber mit Bedacht so gewählt. Denn Hengsbach bringt damit die Kernaussagen der sozialpolitisch prominentesten Personen unserer Zeit auf den Punkt. Das »Teilen« steht dabei für den Bestseller »Das Kapital im 21. Jahrhundert« des französischen Ökonomen Thomas Piketty und das »Töten« für Papst Franziskus’ Ausspruch »Diese Wirtschaft tötet«. »Beide haben die soziale Ungleichheit und gesellschaftliche Polarisierung thematisiert und darauf ungewöhnliche Resonanz erfahren«, so Hengsbach.
Zum Schreiben seines Buches inspiriert hat ihn dieser Satz aus dem Lukas-Evangelium: »Die Wolken am Himmel und die Richtung des Windes könnt ihr deuten, warum nicht die Zeichen dieser Zeit?« Genau das will Hengsbach nun tun. Diese sieht er, ganz Wirtschaftsethiker, in einem »verweigerten Teilen« einerseits, aber auch in einer »Wiederentdeckung des Teilens« andererseits. Und so gerät sein neues Werk zu einem Plädoyer für das Teilen. Mit »den Armen, den Benachteiligten und Flüchtlingen in der näheren Umgebung und in der Ferne«.
Hengsbach war bis zu seiner Emeritierung 2005 Professor für Christliche Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main sowie Leiter des Nell-Breuning-Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik. Der Theoretiker Hengsbach studierte Ökonomie und Theologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Katholischen Soziallehre. Als Buchautor und Talkshow-Gast griff der 77-Jährige immer wieder in die öffentliche Debatte ein. »Abschied von der Konkurrenzgesellschaft«, »Aus der Schieflage heraus« oder »Die Zeit gehört uns: Widerstand gegen das Regime der Beschleunigung« heißen einige seiner Werke. Diese kreisen stets um Themen wie Verteilung, Arbeit, soziale Sicherung und Kapitalismuskritik. Darüber hinaus plädiert Hengsbach immer wieder für mehr Zeitsouveränität und die Gleichstellung der Geschlechter.
Dies ist auch in seinem neuen Buch nicht anders. In »Teilen, nicht töten« liefert Hengsbach erneut eine eingehende Analyse der sozialen Ungleichheit. Diese erschöpft sich nicht nur in klassischen ökonomischen Kategorien wie Arbeit, Einkommen und Vermögen, sondern thematisiert auch die ungleichen Chancen von Männern und Frauen, den ungleichen Zugang zu Bildung wie auch den Umgang mit den Flüchtlingen an Europas Grenzen.
Hengsbach sieht die Ursachen für die zunehmende Polarisierung im Vormarsch des Finanzkapitalismus angelsächsischer Prägung und in der damit einhergehenden Deformierung des Sozialstaats. »Nicht die Demokratie soll marktkonform werden, sondern der Kapitalismus demokratiekonform«, fordert Hengsbach. Wichtige Schaltstellen auf dem Weg dahin sind für ihn eine Stärkung der Tarifautonomie, mehr Mitbestimmung, die Besteuerung hoher Erbschaften und Vermögen, mehr Zeitautonomie, zum Beispiel durch eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit, sowie eine bessere Versorgung mit öffentlichen Gütern. Zudem will er ein Europa, das nicht nur »auf monetäre Stellgrößen« fixiert ist.
Wer Hengsbach kennt, dem wird vieles schon bekannt vorkommen. Dennoch ist das Buch ein gelungener Versuch, die Verteilungsdebatte auf den neuesten Stand zu bringen und neue Impulse zu setzen. Zudem lässt es sich recht flott lesen und eignet sich daher auch gut als Kurzlektüre für die Weihnachtstage.
Friedhelm Hengsbach: Teilen, nicht töten, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2014, 128 Seiten, 12 Euro.
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