Merkel muss nur Wahlen fürchten
Ein Sturz der Kanzlerin muss nicht das Ergebnis einer Links-, sondern er kann ebenso Resultat einer Rechtswende sein, meint Georg Fülberth
Dieses Jahr wurde die Bundeskanzlerin 60. Im gleichen Alter war Konrad Adenauer ein von den Nazis abgesetzter ehemaliger Oberbürgermeister von Köln ohne jede absehbare politische Zukunft. Als er mit 72 Präsident des Parlamentarischen Rates wurde, der 1948/49 das Grundgesetz ausarbeitete, galt er als Lückenbüßer - man nahm an, er werde später, wenn es um die Macht ging, sofort von Jüngeren abgelöst. Dass er als 87-Jähriger 1963 aus dem Amt gedrängt wurde, war nicht zukunftsweisend: Sein Nachfolger Ludwig Erhard war unfähig zur anstehenden Neuorientierung der Wirtschafts- und Ostpolitik, die man Adenauer nicht mehr zugetraut hatte.
Helmut Kohl galt im Alter von 59 schon als erledigt: Eine innerparteiliche Fronde plante für den Parteitag im September 1989 seinen Sturz und seine Ersetzung durch Lothar Späth. Als in der Nacht vorher Ungarn seine Grenze für DDR-Bewohner öffnete, war er gerettet.
Nach Adenauer-Maßstäben hätte Angela Merkel noch 27 Regierungsjahre vor sich. Diese Perspektive wirkt astronomisch im Vergleich zu den kurzatmigen Spekulationen, die sofort nach ihrem Sieg bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr angestellt wurden: Sie könne die Erste sein, die das Amt freiwillig abgeben werde - entweder noch während dieser Legislaturperiode oder doch nach der nächsten Wahl. Dies war wohl nur eine Fantasie des Politik- und Medienbetriebs in Berlin. Allerdings hat Merkel, als sie 1999 Kohl einen Tritt versetzte, tatsächlich vor überlangen Amtszeiten gewarnt. Später erinnerten sich allenfalls innerparteiliche Konkurrenten daran, die sich mittlerweile teilweise selbst aus dem Weg geräumt haben.
Laut Wahlergebnis und Umfragen lassen sich die Leute gern von Merkel regieren. Das macht diese innerparteilich alternativlos. Längst hat sie nicht nur einen politischen, sondern auch einen moralischen Bonus: Niemand traut ihr zu, sie wolle, unzufrieden mit dem Kanzlerinnengehalt und ihren Abgeordnetendiäten, in die Dienste von Gazprom oder Bilfinger treten.
Wer über personelle Alternativen nachdenkt, sollte nicht auf Palastrevolten oder krumme Touren setzen, sondern auf die Regeln der parlamentarischen Demokratie, also auf das Wahlergebnis von 2017. CDU, CSU und SPD werden vorher keine Kampagne für eine Fortsetzung der Großen Koalition führen. Damit könnten sie ihre Stammwählerschaft nicht mobilisieren. Sie werden nach anderen Optionen gefragt werden.
Der sicherste Weg zur Ablösung von Merkel wäre eine rot-rot-grüne Koalition. Die inhaltlichen Hindernisse sind bekannt, denn es ginge nicht nur um einen Partner- und Personen-, sondern auch um einen weitgehenden Identitätswechsel der Beteiligten. Treten die Grünen jedoch in eine Regierung mit der Union ein, werden sie Merkel akzeptieren; es sei denn, deren eigene Partei will sie nicht mehr. Gleiches gilt für den Fall, dass es schließlich doch wieder zu einer Großen Koalition kommt. Dann verliert die bisherige Kanzlerin ihr Amt nur, wenn die SPD stärker wird als die Unionsparteien.
Gelingt es der Friedensbewegung, die Militarisierung der deutschen Außenpolitik zu stoppen, wäre das einerseits eine Niederlage Merkels, denn sie hat zum Beispiel die Konfrontation mit Russland mitbetrieben. Andererseits würde diese erfreuliche Entwicklung die Kanzlerin gegenüber Joachim Gauck und Ursula von der Leyen (CDU) stärken, die in diesem Punkt schlimmer sind als sie. Scheitert der Euro, steht Merkel vor den Trümmern ihrer Politik. Dann kommt die AfD (falls sie 2017 in den Bundestag einzieht) ins Spiel. Thüringen hat gezeigt, dass es CDU-Politiker gibt, die bereit sind, mit dieser Partei zu kooperieren. Das würde Merkel den Kopf kosten.
Man sieht also: Ein Sturz der Kanzlerin muss nicht das Ergebnis einer Links-, sondern er kann ebenso Resultat einer Rechtswende sein. Die CDU jedenfalls hat gegenwärtig kein Personal- oder Führungsproblem, sie könnte aber künftig ein Richtungsproblem bekommen.
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