WFP-Chef: Ebola-Länder stehen vor massiver Hungerkrise
Ralf Südhoff: Noch nie zuvor musste die Weltgemeinschaft so viele Großkrisen zugleich meistern wie in diesen Tagen
Berlin. Trotz wirtschaftlicher Fortschritte in manchen Teilen Afrikas leiden Millionen Menschen auf dem Kontinent weiter Hunger. Die großen Krisenländer bleiben deshalb 2015 im Fokus internationaler Hilfsorganisationen, darunter der Südsudan und Zentralafrika. Aber auch in der Ebola-Region drohe Millionen Menschen eine schwere Hungerkrise, wenn die Seuche jetzt nicht schnell besiegt werde, sagt Ralf Südhoff, der Leiter des Berliner Büros des UN-Welternährungsprogramms (WFP).
Ebola hat der Wirtschaft in Guinea, Liberia und Sierra Leone schwer geschadet. Droht den Menschen dort 2015 eine Hungersnot?
In der Ebola-Krise stehen wir an einem Scheideweg, wie wir jetzt auch mit konkreten Zahlen untermauern können. Gelingt es uns die Epidemie einzudämmen, dann können wir die Zahl der hungernden Menschen 2015 auf 2,3 Millionen Betroffene beschränken - für die wir so schnell wie möglich Ernährungshilfe mobilisieren müssen. Können wir die Ausbreitung des Virus aber nicht bis zum Januar bremsen, drohen über drei Millionen Menschen Hunger zu leiden. Grund hierfür sind auch die massiven wirtschaftlichen Folgen. Vor allem Frauen, die vielfach produktivsten Arbeitskräfte, leiden unter dem Virus. So sind die Haushaltseinkommen etwa in Liberia um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Das sind Ausmaße, die sogar Frieden und Stabilität bedrohen können.
Ralf Südhoff (46) leitet das Berliner Büro des UN-Welternährungsprogramms seit 2008. Vor dem Start beim WFP arbeitete er als Referent im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie als Journalist und Korrespondent in Deutschland und Brasilien, unter anderem für die "Financial Times" und "Die Zeit". dpa/nd
Sind auch andere Länder in der Region wegen Ebola von Hunger bedroht - etwa weil die Märkte nicht mehr funktionieren?
Indirekte Folgen sind natürlich auch für die Nachbarstaaten vorhanden, vor allem mit Blick auf den Handel und die regionale Infrastruktur. Beispielsweise sind auch Häfen in Nachbarstaaten völlig überlastet, so dass der Handel und selbst andere Hilfsoperationen des WFP darunter leiden.
Welche Länder in Afrika sind sonst im Fokus für 2015? Wo droht eine größere Krise?
Die Weltgemeinschaft steht zum Jahreswechsel vor einer einmaligen Herausforderung: Noch nie zuvor musste sie so viele Großkrisen zugleich meistern wie in diesen Tagen - fünf größtmögliche Krisen zugleich, sogenannte Level 3 Krisen, der höchste Notstand der UN. Dies spiegelt sich auch in Afrika wieder: Neben der Syrien- und der Irakkrise sind die anderen Katastrophen in der Ebola-Region, im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik zu Hause.
Vor welchen Herausforderungen steht das WFP im Südsudan und in Zentralafrika?
Im Südsudan ist Weihnachten die Krise rund ein Jahr alt und hat in dieser Zeit fast zwei Millionen Menschen heimatlos gemacht. Zugleich ist sie ein Zeichen, wie Krisen eingedämmt werden können: Vergangenen Herbst drohte eine Hungersnot, die dank großer Hilfe für das Land vorerst verhindert werden konnte. Diese Hungersnot schwebt aber weiter über den Menschen wie ein Damoklesschwert, weil aufgrund der Kämpfe und der Gewalt kaum gesät und geerntet werden kann - wir dürfen auf keinen Fall nachlassen. Gleiches gilt für die Zentralafrikanische Republik. Solange die Kämpfe nicht aufhören, wird unsere humanitäre Hilfe für Millionen Menschen die einzige Chance sein, zu überleben.
Gibt es noch andere vom Hunger bedrohte Länder in Afrika, die nicht so sehr in den Schlagzeilen sind?
In der Demokratischen Republik Kongo sind landesweit über 6,5 Millionen Menschen vom Hunger bedroht und fast jedes zweite Kind ist mangelernährt. In Somalia sind rund eine Million Menschen derzeit auf schnelle Ernährungshilfe angewiesen. Da erscheint Äthiopien, eines der Top 5 Länder weltweit mit der größten Zahl vom Hunger bedrohter Menschen, fast auf einem guten Weg dank seiner beeindruckenden Fortschritte in den letzten Jahren.
Gibt es weiterhin Probleme, Menschen in bestimmten Regionen zu erreichen, etwa in Somalia, wo islamistische Milizen Hilfslieferungen ja in den vergangenen Jahren immer wieder behindert haben?
Es gibt einen sehr besorgniserregenden Trend, in Afrika wie auch weltweit: Die derzeit schlimmsten Krisen sind - abgesehen von der Ebola-Epidemie - menschengemachte Konflikte und Kriege. Das bedeutet zugleich: In den größten Krisen stehen wir aufgrund der Gewalt auch vor den größten Herausforderungen, alle Betroffenen zu erreichen. Das gilt für den Südsudan und Zentralafrika ebenso wie für Somalia oder den Norden Malis.
Afrika scheint weiter im Schatten der Krise in Syrien zu stehen. Erschwert das die Arbeit des WFP, weil die Menschen denken, in Afrika gebe es derzeit kaum Hungerkrisen?
Auf jeden Fall - zumal zugleich viele Menschen zögern, für Opfer von Kriegen und Konflikten zu spenden, wie sie Afrika derzeit prägen. Dadurch fehlt es vielen Hilfsorganisationen an Spenden in einer Zeit, wo sie dringender benötigt werden denn je: 2014 war der Bedarf an humanitärer Hilfe rund viermal so hoch wie noch vor sechs oder sieben Jahren, und dies ist ein seit Jahren anhaltender Trend.
Interview: Carola Frentzen, dpa
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!