Helmut Kohl, Landschaftsverkünder

  • Lesedauer: 2 Min.

Es ist verwunderlich: Wenn es einen Protagonisten der Vereinigung Deutschlands gibt, dann ist es Helmut Kohl. Er war der »Einheitskanzler«, der die Weichen für einen schnellen Anschluss der DDR an die westdeutsche Republik maßgeblich stellte. Aber selbst Christdemokraten, die den Lauf der Geschichte begrüßen, würdigen sein Schaffen derzeit allenfalls beiläufig.

»Wenn Sie immer nur beliebt sein wollen, dann können Sie weder was gestalten, noch was bewegen«, erklärte Kohl Anfang der 90er Jahre auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere - und fügte hinzu: »Am Ende sind Sie noch mehr allein.« Kohl, heute 84-jährig, ist selbst bei seinen politischen Freunden in Ungnade gefallen. Denn sein System der schwarzen Kassen stürzte die CDU vor 15 Jahren in eine tiefe Krise.

Dabei schuf er wie kein anderer in dem knappen Jahr zwischen Mauerfall am 9. November 1989 und Einheitstag am 3. Oktober 1990 Fakten. Als Michail Gorbatschow dem Kanzler kurz nach dem Mauerfall ein »Selbstbestimmungsrecht der Deutschen« zugesichert hatte, witterte Kohl die Gelegenheit eines raschen Anschlusses der DDR an die Bonner Republik. Dabei glich er einem Rugbyspieler, der sich mit seiner Leibesfülle ins Getümmel schmeißt, um sich das Ei zu sichern.

Für die Ewigkeit geblieben ist Kohls Versprechen von »blühenden Landschaften«. Als die Marktwirtschaft dann den neuen Osten Deutschlands überrollte und eine Massenarbeitslosigkeit grassierte, war bei vielen die anfängliche Freude über den Wegfall der Grenze verflogen.

16 lange Jahre hatte Kohl das Land unter seinen Fittichen, von 1982 bis 1998. Sein Regierungsstil glich dem eines ungehobelten Raubeins, wie die Gespräche mit seinem Biografen Heribert Schwan offenbarten. Die Protokolle voller Schmähungen gegen Freunde und Weggefährten wurden just in dem Moment bekannt, als in diesem Sommer das Gedenken an die Wende begann. Der Altkanzler manövrierte sich damit noch weiter ins Abseits, in dem er ohnehin schon gestanden hatte. sot

Literatur:

Eichhorn, Franziska (Autor): Der Weg zur deutschen Einheit
»Auf den Kanzler kommt es an«: Helmut Kohl und die deutsche Aussenpolitik

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.