Alexander Schalck-Golodkowski, DDR-Staatssekretär

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Immer, wenn ich in den Keller gehe, fällt mir Alexander Schalck-Golodkowski ein: »Alex der Große«, die »alte Stasi-Sau«, der clevere Devisenbeschaffer, die Hassfigur schlechthin. Warum? Damit ich mich im Keller zurechtfinde, habe ich da eine alte Schreibtischlampe abgestellt. Das gute Stück, so hieß es, soll mal für den wohl umstrittensten DDR-Staatssekretär geleuchtet haben.

Welchen Grund gibt es sonst, sich 25 Jahren nach dem Ende der DDR an jenen Mann zu erinnern, der als Honeckers D-Mark-Zauberer dasteht? Der als Offizier im besonderen Einsatz beim Ministerium für Staatssicherheit ein Geflecht namens Kommerzielle Koordinierung - kurz KoKo - geleitet hat? Schalck war hinter Stasi-Chef Erich Mielke, neben Erich Honecker und dessen Politbüro-Wirtschaftsamateur Günter Mittag gewiss einer der Wichtigsten im Arbeiter- und Bauernstaat. Mit ihm beschäftigten sich unzählige Journalisten zumeist sehr dilettantisch. So wie diverse Staatsanwälte, die ihm gleichfalls was am Zeuge flicken wollten, und Abgeordnete in Parlamentsausschüssen. Themen waren Bananen für die Bonzensiedung in Wandlitz, Embargoimporte, Waffenverkäufe, Firmenbeteiligungen im Westen, Häftlingsfreikäufe oder Antiquitätenschacher. Nichts wurde richtig aufgearbeitet. Warum? Weil es zu viel Mühe gemacht hätte. Weil es Bremser gab, die das, was der Nebenaußenhandelsstaatssekretär im Interesse der DDR betrieb, mit krimineller Energie im Westen unterstützt hatten. Nicht einmal die politischen Erben von CSU-Chef und Bayernkönig Franz-Josef Strauß wollten sich mit dem Mann öffentlich sehen lassen, der einst mit ihrem Chef den Milliarden-D-Mark-Kredit für die DDR ausgehandelt und so manches in beiderseitig vernünftige Bahnen geleitet hatte.

Schalcks Familiengeschichte und sein Werdegang in der DDR sind jenseits aller Spekulationen spannend genug. Sein Großvater väterlicherseits war höherer russischer Finanzbeamter in Gomel, sein Vater Offizier der zaristischen Armee, bevor er vor den Bolschewiki floh und später die russische Dolmetscherschule der Wehrmacht in Berlin-Moabit leitete. 1940 wurde Golodkowski vom Ehepaar Schalck adoptiert. Nach dem Krieg lernte er Feinmechaniker, nutzte die Chancen im ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden, holte das Abitur nach, studierte, promovierte und machte Karriere in und für die SED. Vor zwei Jahren hat der wohlbeleibte, ehemals 1,90-Meter-Mann seinen 80. Geburtstags gefeiert. Nein, sicher nicht gefeiert. Was sollte es für einen Grund geben? Vielleicht, dass er überlebt hat. Immerhin.

Schalck war in Wendezeiten neben Außenhandelsminister Gerhard Beil, Finanzminister Erich Höfner, Plankommissionschef Gerhard Schürer und dem Chef des statistischen Zentralamtes, Arno Dona, einer der Autoren der »Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlussfolgerungen«. Da stand es schwarz auf weiß: Die DDR ist pleite. Und dann wurde der Mann, den seine Genossen als rettenden Ministerpräsidenten im Auge hatten, über Nacht zum Verfehmten. Auf der letzten Sitzung des ZK der SED am 3. Dezember 1989 flog er aus dem Gremium, es gab einen Haftbefehl.

Kaum übertrieben waren die Gründe zur Flucht. Am 4. Dezember stellte Schalck sich mit seiner zweiten Frau Sigrid, die gleichfalls bei MfS und KoKo diente, den Behörden in Westberlin. Rund sechs Wochen Untersuchungshaft folgten. Nun gehörte er als BND-»Schneewittchen« der anderen Seite.

Im Januar 1990 zog das Ehepaar Schalck-Golodkowski nach Rottach-Egern am Tegernsee. Im Gepäck war die Hoffnung auf die zugesagte Straffreiheit, die eigentlich auch rechtlich und logisch geboten gewesen wäre. Schließlich war Schalck Bürger der DDR, nicht der BRD. Doch gesamtdeutscher Siegerwahn und Undankbarkeit galten mehr. Mehrfach wurde der gar nicht mehr große Alex angeklagt und verurteilt. Vor dem großen Knast rettete ihn der Krebs. Zwei Operationen und ein Schlaganfall ereilten ihn.

Günter Gaus, der als Ständiger Vertreter der Bundesrepublik in der DDR mit Schalck über ein Dutzend Verträge ausgehandelt hat, stellte ihm in einer TV-Diskussion ein Zeugnis der Verlässlichkeit aus. »Nicht einer der Verträge ist notleidend geworden.« Doch: Undank ist der Welten Lohn, heißt es. Na ja, immerhin ist Dank seiner Schreibtischlampe ab und zu Licht. In meinem Keller. René Heilig

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