Widerstand ist möglich
In Mexiko trafen sich in Chiapas rund um die Zapatisten viele soziale Bewegungen
Es war eine bewegende Zeremonie im staatsunabhängigen zapatistischen Verwaltungssitz Oventik, im nächtlichen Nebel des Hochlands im südmexikanischen Bundesstaates Chiapas. Über 5000 Zapatistas, Angehörige des Nationalen Indigenen Kongresses CNI und Aktivisten sympathisierender sozialer Bewegungen aus dem In- und Ausland feierten in der Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar 2015 den 21. Jahrestags des Aufstands der linksgerichteten zapatistischen Befreiungsarmee EZLN gegen Kapitalismus, Rassismus, Unterdrückung der Frauen und Naturzerstörung.
Doch es wurde nicht nur gefeiert, sondern auch getrauert und diskutiert. Die EZLN hatte als Ehrengäste Angehörige und Kommilitonen der 43 Lehramtsstudenten aus Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero eingeladen, die seit einer der vielen gemeinsamen Gewaltaktionen von Staat und Mafias am 26. September 2014 vermisst werden. Drei weitere Studenten wurden bei dem Übergriff getötet.
Berta Nava, Mutter von Julio Ramírez Nava, der bei den Angriffen starb, rief dazu auf, sich zusammenzuschließen, um die Verschwundenen aufzufinden. Wie viele andere Angehörige ist sie überzeugt, dass die Mehrheit der Vermissten lebt: »Mein Sohn wurde ermordet. Ich habe mich daher den Angehörigen der 43 angeschlossen. Wir wissen, dass die Regierung sie entführt hat. Mit Hilfe von Euch allen können wir sie wiederfinden«.
Mario González, Vater von César González, der weiterhin vermisst wird, berichtete: »Uns wurde Geld angeboten, aber ich verkaufe meinen Sohn nicht! Wir werden nicht aufhören, sie alle zu suchen, auch wenn wir dabei unser Leben verlieren. Wir waren bisher nicht politisch organisiert, aber heute wissen wir, welche Schweine an der Regierung sind«. Zwischen den Redebeiträgen erschallten immer wieder energische Sprechchöre: »Ihr seid nicht allein!«, »Es war der Staat!«, »Es lebe die EZLN!« und »Gerechtigkeit für Ayotzinapa - Gerechtigkeit für Alle!«
Während seiner zentralen Ansprache drückte Subcomandante Moisés, Sprecher der EZLN, den Angehörigen die Bewunderung der Zapatistas für ihr unermüdliches Engagement aus: »Wir unterstützen Euch, weil Euer Kampf gerecht und wahrhaftig ist. Euer Kampf sollte der Kampf der gesamten Menschheit sein. Nur durch soziale Bewegung können wir von unten uns verteidigen und befreien. Wir benötigen Organisierung, Arbeit, Kampf, Rebellion und Widerstand.« Unter anhaltendem Applaus Tausender Anwesender umarmten 46 Zapatistas symbolisch die Angehörigen.
Die Jubiläumsfeier war Teil des »Weltweiten Festivals der Rebellionen und Widerstände gegen den Kapitalismus - Wo die von oben zerstören, bauen wir von unten auf«. Das Großtreffen wurde vom CNI und der EZLN organisiert und fand vom 21. Dezember bis zum 3. Januar in fünf unterschiedlichen Bundesstaaten in Zentral- und Südmexiko statt, um die Partizipation möglichst vieler sozialer Aktivisten zu ermöglichen. Mitgetragen wurde die Mobilisierung entscheidend durch die »Sexta Nacional e Internacional«, ein horizontales Netzwerk engagierter Gruppen, die den Aufruf der EZLN - die »Sechste Deklaration aus dem Lakandonischen Urwald« von 2005 - unterstützen, um auf außerparlamentarische Weise basisdemokratische linksgerichtete Alternativen in Mexiko und der Welt voranzutreiben.
An den fünf Treffen des Festivals nahmen insgesamt über 10 000 Personen aus 49 Ländern aller fünf Kontinente teil. Aufgrund der hoch repressiven Situation in der Quasi-Diktatur Mexiko konzentrierten sich viele Beiträge und Diskussionen auf das Land selbst. Willkürliche Festnahmen sozialer Aktivisten, ausbeuterische Großprojekte wie Tagebau, agrarindustrielle Monokulturen, Tourismusvorhaben, Großstaudämme, kostenpflichtige Autobahnen, die nicht einmal Ausfahrten zu den Gemeinden entlang ihres Verlaufes haben, die ausgrenzende Berichterstattung der Medien, der Rassismus gegenüber den indigenen Bevölkerungsgruppen sowie die fatale Rolle transnationaler Unternehmen wurden immer wieder angeprangert. Angehörige von feministischen Kollektiven wiesen darauf hin, dass bei den Diskussionen zu wenig auf patriarchale Unterdrückung eingegangen wurde, was schließlich auf viel Beifall stieß.
Salvador Campanur, langjähriger Aktivist des CNI stellte klar: »Der Schuldige für alle Probleme, die wir in Mexiko erleiden, ist das kapitalistische System. Wir haben in unserer Stadt Cherán im Bundesstaat Michoacán gezeigt, dass Widerstand gegen das organisierte Verbrechen und den Kapitalismus möglich ist. Wir kontrollieren unser Territorium nun autonom.«
Das Treffen fungierte wie viele vorherige Zusammenkünfte der Zapatistas als transnationale Vernetzungsmöglichkeit. So berichtete eine Aktivistin aus Griechenland, die zapatistischen Kaffee in Athen vertreibt, wie viel Kraft ihr die Rebellion in Chiapas für ihren Widerstand in Griechenland gäbe, in einem Land, das unter Verzweiflung leide - unter anderem wegen der fatalen Rolle der deutschen Regierung im Kontext brutaler neoliberaler Umstrukturierungen.
Am letzten Tag des Festivals wurde viel mit dem Konzept des »offenen Mikrofons« gearbeitet. Hier konnten sich die Anwesenden zu Wort melden und ihre Vorschläge vorstellen. Diese variierten zwischen Forderungen nach strafferer Organisierung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene und einer stärkeren Konzentration auf Alltagsprozesse im eigenen Umfeld.
Der grundsätzliche Aufruf von Subcomandante Moisés nach einer Stärkung der heterogenen Organisierungsprozesse seitens der EZLN traf indes auf viel Zustimmung: »Es gibt nicht nur einen einzigen Weg [...] Die Zeiten und Orte und die Farben, die von unten und links strahlen, mögen unterschiedlich sein. Aber ihr Ziel ist das gleiche: Die Freiheit, DIE FREIHEIT!«
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