Keupstraße ist bald in München

Gedenken an den rassistischen Anschlag in der Kölner Innenstadt beim NSU-Prozess

  • Hamid Mohseni
und John Malamatinas
  • Lesedauer: 4 Min.
In den kommenden Wochen wird in München der NSU-Anschlag auf die Kölner Keupstraße verhandelt. Die Initiative »Keupstraße ist überall« fährt mit drei Bussen zu Prozess und Demo nach München.

Auf der Kölner Keupstraße fällt ein Wort in den letzten Tag besonders häufig: München. Der Grund: Seit dieser Woche wird dort im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) das Attentat auf die Keupstraße verhandelt. »Derzeit wird vor Ort viel darüber geredet. Die meisten sind aufgeregt, besonders die Betroffenen. Jetzt geht es los«, sagt Mitat Özdemir, Vorsitzender der Interessengemeinschaft (IG) Keupstraße.

Hier, auf einer der belebtesten Straßen Kölns, detonierte am 9. Juni 2004 eine aus 800 Zimmermannsnägeln sowie fünf Kilogramm Sprengstoff bestehende Bombe des NSU. Die erschütternde Bilanz: 22 verletzte Menschen, vier davon schwer, ein völlig verwüsteter Friseursalon sowie weitere erhebliche Sachschäden. Die Intention des Anschlags war klar: Es sollte ein Massaker unter vermeintlich nicht-deutschen Menschen angerichtet werden. Nur durch Zufall ging dieser Plan nicht auf. Dennoch hinterließ der Anschlag auf der Keupstraße Schock, Angst, Traumata.

Und vor allem Degradierung. Schon am nächsten Tag schloss unter anderem der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) einen »ausländerfeindlichen Hintergrund« kategorisch aus. Die Ermittlungen wurden sofort aggressiv gegen die Opfer selbst gelenkt. Die Behörden drangsalierten die Menschen aus der Straße systematisch, führten perfide Verhöre nach rassistischem Muster durch und machten aus Opfern Täter. Die lokale Presse begleitete diese Verhöhnung der Opfer mit Schlagzeilen wie »Drogenkrieg« und »Türkenmafia«.

»Der Anschlag nach dem Anschlag« - so bezeichnen viele Menschen aus der Keupstraße diese von institutionellem Rassismus geprägte Phase. Nicht wenige resignierten unter dem permanenten Druck und schenkten dieser aufgesetzten Version Glauben. Andere wiederum weigerten sich und trugen ihre Kritik nach außen, um auf die wahre Ursache dieses Anschlages hinzuweisen: Rassismus. Die IG Keupstraße organisierte nur wenige Wochen nach dem Anschlag ein breit getragenes Solidaritätsfest gegen Rassismus. Ein ähnlicher Geist trieb Angehörige und Freunde weiterer NSU-Opfer in der BRD voran. Den bekanntesten Ausdruck dessen manifestierte die Großdemonstration unter dem Motto »Kein 10. Opfer« im Jahr 2006 in Kassel. Dort wurde vorweggenommen, was erst fünf Jahre später auch von staatlicher Seite nicht mehr dementiert werden konnte.

Das Auffliegen des NSU mitsamt der rassistischen Kontinuität in deutschen Institutionen im November 2011 war eine Zäsur. Nicht nur für die Betroffenen und deren Umfeld, die nun berechtigterweise eine Entschuldigung und Anerkennung forderten. Die antirassistische und antifaschistische Linke erwachte aus einer Lähmungshaltung. »Auch wir haben der offiziellen Version geglaubt«, resümiert Reiner Schmidt von der Interventionistischen Linken Köln auf einer Infoveranstaltung an der Uni.

Schmidt spricht an diesem Abend als Vertreter der Initiative »Keupstraße ist überall«, ein Kölner Solidaritätsbündnis zur Unterstützung der Betroffenen. Dieser Zusammenschluss kam zustande, als linke und zivilgesellschaftliche Kräfte aktiv wurden, quasi »aus schlechtem Gewissen und als Wiedergutmachung«, so Schmidt. Es häuften sich Demonstrationen, Veranstaltungen, Solidaritätsfeste in der Stadt. »Den meisten, auch uns, fehlte zunächst allerdings der Bezug zu den Betroffenen. Ohne diesen tritt antifaschistische und antirassistische Politik gegen NSU und staatlichem Rassismus auf der Stelle«, sagte Anna Müller, Pressesprecherin des Antifa AK Köln und ebenfalls Teil der Initiative.

Aus Fehlern lernen, heißt fortan die Devise, auch und gerade, wenn dieser Lernversuch nicht widerspruchsfrei verläuft. De Initiative »Keupstraße ist überall« stellt einen solchen Versuch dar: »Wir sehen eine Hauptaufgabe darin, mit vielen Menschen aus Köln nach München zu fahren, um die Betroffenen dort zu stärken sowie eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Es geht zudem um eine Repolitisierung des Prozesses, der meist auf die Taten einer Mörderin reduziert wird«, meint Müller.

In Köln wird in den nächsten Tagen noch einmal alles in die Mobilisierung gesteckt. Neben Veranstaltungen in der Rheinmetropole und im Umland wird es auch einen gemeinsamen Ausdruck auf der Straße geben; am kommenden Sonntag soll anlässlich des 14. Jahrestages eines ebenfalls vom NSU verübten Sprengstoffanschlags in der Kölner Innenstadt im Jahr 2001 eine Gedenkkundgebung stattfinden.

Dort gibt es dann wahrscheinlich das letzte öffentliche Auftreten der Initiative, bevor es tags darauf nach München geht. »Dann kommen die meisten zum Prozess«, prognostiziert Özdemir, dessen Fazit positiv ausfällt: »Es war sehr viel Arbeit. Aber es hat sich gelohnt.«

Am Dienstag, während die ersten Vernehmungen der Betroffenen aus der Keupstraße beginnen, wird vor dem Münchner Oberlandesgericht den ganzen Tag lang demonstriert; die Initiative »Keupstraße ist überall« sowie das Münchner »Bündnis gegen Naziterror und Rassismus« organisieren für 9 Uhr eine Dauerkundgebung und um 17.30 Uhr eine bundesweite, antirassistische Demonstration. Den Aufruf unterzeichneten bereits über 150 Gruppen und Einzelpersonen.

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