»Hauptsache Arbeit« ist eine Sackgasse

Das Fundament »Guter Arbeit« hat mindestens so viele Risse wie die maroden Straßen unserer Republik

  • Klaus Ernst
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach Jahren der Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes rücken die Situation der Beschäftigten und mit ihr das Thema »Gute Arbeit« wieder vermehrt ins Zentrum der Öffentlichkeit. Die Beben der Krise haben nachgelassen, die Lage am Arbeitsmarkt hat sich wieder entspannt. Ab 2015 wird es sogar einen flächendeckenden Mindestlohn geben. Ist also alles in Butter? Wenn man hinter die bunte Fassade schaut, die die Bundesregierung so gerne malt, dann sieht man, dass das Fundament »Guter Arbeit« mindestens so viele Risse aufweist, wie die maroden Straßen unserer Republik:

Noch immer ist jede fünfte Beschäftigung im Billiglohnsektor. Hier sind besonders die Minijobberinnen und Minijobber betroffen, denen neben einer angemessenen Bezahlung auch grundlegende arbeitsrechtliche Ansprüche versagt werden.

Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes hat ein breites Feld unsicherer Arbeitsverhältnisse hinterlassen. Die Zahl der befristeten Beschäftigungen hat sich in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdreifacht. Tarifverträge und soziale Absicherung werden von Unternehmen durch den Missbrauch von Werkverträgen umgangen. Noch immer sind Leiharbeiter gegenüber der Stammbelegschaft schlechter gestellt. Nicht selten dient das auch als Druckmittel gegenüber der Stammbelegschaft. Insgesamt nimmt die Bindung von Tarifverträgen ab.

Beschäftigte müssen immer mehr Arbeit in immer weniger Zeit erledigen. Da schlägt sich auch in der Zahl der geleisteten Überstunden nieder. Laut dem »DGB-Index Gute Arbeit« gaben im Jahr 2013 mehr als 40 Prozent aller Befragten Beschäftigten an, außerhalb der normalen Arbeitszeit unbezahlte Arbeit zu leisten, 40 Prozent davon häufig oder sehr häufig. In der Folge erreichen insbesondere psychische Belastungen am Arbeitsplatz seit Jahren Spitzenwerte.

Trotz der Arbeitsverdichtung kann, laut dem »DGB-Index Gute Arbeit Report 2013«, jede bzw. jeder Zehnte nicht von ihrem oder seinem Lohn leben. Über vierzig Prozent der Beschäftigten schätzen, dass ihre gesetzliche Rente nicht zum Leben ausreichen wird. Daran wird auch ein Mindestlohn von 8,50 Euro nichts ändern. Dieser liegt bereits heute unterhalb der Niedriglohnschwelle. Für eine auskömmliche Rente reicht er schon lange nicht.

Auch wenn Arbeit weiterhin der wichtigste Integrationsfaktor für den Menschen in der Gesellschaft bleibt, das Prinzip »Hauptsache Arbeit« ist eine Sackgasse.

Es geht nicht um irgendwelche Arbeit, es geht um »Gute Arbeit«. Arbeit, die den Menschen Gestaltungsmöglichkeiten gibt und Raum für berufliche Entwicklung bietet. Arbeit, die Menschen inhaltlich ausfüllt aber ausreichend Zeit und Raum für Erholung, Freizeit und Familie lässt. Arbeit, die das Auskommen nicht nur im Hier und Jetzt sichert, sondern mit der man auch eine existenzsichernde Rente im Alter erwirtschaften kann. Gute Arbeit ist das Leitbild einer modernen, humanen Arbeitswelt, an dem sich Politik und Wirtschaft orientieren müssen. Auch in der Zukunft.

Wir stehen einer Vielzahl an Herausforderungen gegenüber, die auf uns zukommen werden. Der demographische Wandel und die Digitalisierung sind nur zwei davon. Diese gesellschaftlichen Veränderungen müssen Gewerkschaften und Politik gemeinsam gestalten und Leitplanken einziehen, die dem Wandel einen sozial gerechten Rahmen setzt. Die wichtigsten Aufgaben der Zukunft bleiben die Stärkung der kollektiven und individuellen Arbeitsrechte von Erwerbstätigen, die Begrenzung prekärer Beschäftigung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die angemessene Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an ihrer wirtschaftlichen Leistung. Dazu brauchen wir starke Gewerkschaften, die für gute Arbeitsbedingungen und Tarifverträge streiten. Aber auch vernünftige gesetzliche Regelungen für den Arbeitsmarkt, um das Ziel »Gute Arbeit« zu erreichen. Dafür kämpft DIE LINKE. Wir brauchen auch eine sozial gerechte Umverteilung von oben nach unten. Vor allem aber brauchen wir mehr Mitbestimmung in Unternehmen und in der Politik.

Immer mehr Erwerbstätige sind nicht mehr in einem klassischen Betrieb beschäftigt. Das wirft neue Frage auf: Wie können wir Selbstausbeutung verhindern? Wie können wir die Einbindung neuer Erwerbsformen in die Sozialsysteme regeln? Die Bedürfnisse Erwerbstätiger werden zunehmend individueller. Wer würde sie besser verstehen, die Betroffenen selbst? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir auch hier erst einmal mit den Betroffenen ins Gespräch kommen und vor allen Dingen zuhören. Denn gesellschaftlicher Fortschritt lässt nur mit den Menschen gemeinsam erreichen – und nicht über ihre Köpfe hinweg.

Der Beitrag erschien zuerst hier.

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