Koalition mit verklärtem Blick
In London berieten 21 Staaten den »Kampf gegen den islamistischen Terror«
»Die Terroristen wollen uns auseinandertreiben, aber ihre Aktionen haben genau das Gegenteil bewirkt. Sie führen uns zusammen.« Das sagte US-Außenminister John Kerry am Mittwoch vor Journalisten in Washington vor seiner Abreise nach Großbritannien. Dort fand am Donnerstag ein Treffen der sogenannten Militärkoalition gegen den Islamischen Staat (IS) statt. Kerrys Worte dazu als sehr optimistisch zu bezeichnen, ist aber beinahe noch schönfärberisch.
Kerry wollte selbst Erfolge im Krieg gegen IS in Irak und Syrien verkünden und ebenso gelobt werden von den Koalitionären. Sein Präsident Barack Obama führt den US-Bombenkrieg im Nahen Osten nicht nur ohne ein völkerrechtliches Mandat, sondern auch ohne formale Vollmacht des US-Parlaments. Gerade erst hat er das in seiner Rede an die Nation beklagt. Da würde sich Zustimmung in London nicht schlecht machen, um die Ablehnungsfront im heimischen Kongress unter Druck setzen zu können. Die britischen Gastgeber, die wohl in Irak, nicht aber in Syrien mitbomben, haben ihm den Gefallen allerdings nicht in erwünschtem Maße getan. Londons Außenminister Philip Hammond beschrieb recht schonungslos die hilflose Lage der schiitische Regierung im Krieg gegen die sunnitisch-fundamentalistische IS-Streitmacht. »Wir erneuern und regenerieren die irakischen Sicherheitskräfte, wir rüsten sie neu aus, wir erneuern ihre Ausbildung und organisieren sie neu«, sagte Hammond laut BBC. Aber es werde Monate dauern, bis sie zu »signifikanten Kampfoperationen« gegen IS in der Lage seien, erklärte Hammond dem Sender. Der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi hatte sich am Mittwoch sogar beklagt, die von Hammond genannte internationale Hilfe sei nicht ausreichend und komme nicht schnell genug.
Das Kernproblem dieser Konferenz, das auch ihre Sinnhaftigkeit ernsthaft in Frage stellt, ist allerdings ihre Zusammensetzung. Auch in London sind zwei Staaten nicht vertreten, weil ausgegrenzt, die bei einer Anti-IS-Konferenz nicht fehlen dürften. Das sind Syrien, von dessen Territorium derzeit etwa ein Viertel von IS-Milizen kontrolliert wird, und Iran, das als Kernland des Schiismus in Irak militärisch gegen IS-Stellungen vorgeht. Letzteres geschieht offensichtlich in Abstimmung mit den USA. Das Pentagon möchte sich aber nicht dazu äußern.
Andererseits sind Vertreter von Staaten in der Koalition, die das vom IS ausgerufene Kalifat offen unterstützen, wie zum Beispiel Katar und Saudi-Arabien. Von dort wurden die Milizen mit Islamfanatikern aus aller Herren Länder bisher mehr oder weniger offen mit Geld und Waffen versorgt. Kämpfer und Waffen gelangen zum großen Teil über die Türkei mit mindestens Duldung der Regierung in Ankara in die irakischen und syrischen Kampfgebiete. Und auch die Türkei sitzt in London mit am Tisch.
Die Seriosität aller Verlautbarungen aus London über »gemeinsame Strategien« im Kampf gegen IS kann schlechterdings nur unter Berücksichtigung dieser Vorzeichen bewertet werden. Dass auch die EU auf ihrer Außenministertagung zu Wochenbeginn »mehr Kooperation mit muslimischen Staaten im Antiterrorkampf« verkündet hatte und dabei ebenfalls die oben genannten arabischen Monarchien mit einschloss, macht die Bekenntnisse nicht glaubwürdiger, sondern zeigt nur, wie sehr sich die westlichen Staaten in ihrer eigenen Ideologie verheddert haben.
Laut Gastgeber Hammond sollte es in London neben der Fortsetzung der Militäroffensive in Irak gegen IS auch um das Problem von dessen ausländischen Kämpfern, die Finanzierung der Milizen und humanitäre Hilfe für die betroffene Zivilbevölkerung in Irak gehen.
Letzteres wäre eigentlich der wichtigste Punkt gewesen. Noch immer sind vor allem in Irak Zehntausende Nicht-Sunniten, die vor dem IS-Terror geflohen sind, auf elementarste humanitäre Hilfe angewiesen. Die US-geführte Militärallianz zählt angeblich insgesamt rund 60 Staaten. Von keinem einzigen waren bisher in London diesbezügliche konkrete Hilfszusagen zu vernehmen.
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