Die Zeiten der Spaltung überwunden
SYRIZA hat sich in den vergangenen 25 Jahren von einem Splitterbündnis zur größten Oppositionspartei entwickelt
Wenn er die Bühne betritt, brechen Parteigänger in Jubel aus. Zuletzt Anfang des Jahres, als Alexis Tsipras vor 5000 Sympathisanten in Athen den Wahlkampf von SYRIZA einläutete. Positive Zuschreibungen erhält Tsipras in deutschen Medien dennoch eher selten. Kurz vor der Parlamentswahl 2012 bezeichnete ihn »Bild« als »Halbkriminellen«, der »mit gewalttätigen Anarchisten« sympathisiere. Auch zu Beginn des Jahres 2015, vier Wochen vor der Neuwahl, waren die Beschreibungen deutscher »Leitmedien« wenig schmeichelhaft. Nicht anders geht mancher Politiker mit ihm um. Regierungsmitglieder fabulieren über einen Euro-Austritt Griechenlands. Und das, obwohl SYRIZA gar nicht daran denkt, die Gemeinschaftswährung aufzukündigen. Nur wenige interessiert Programmatik und Geschichte der Linkspartei, obwohl die durchaus beachtlich sind.
Die Gründungstage von SYRIZA liegen weit zurück, in der Spaltung der Kommunistischen Partei (KKE). Von der damals illegalisierten und im »Ostblock stationierten« griechischen KP trennte sich 1968 ein später »eurokommunistisch« genannter Flügel. Nach dem Ende der griechischen Militärdiktatur entwickelten sich ein Teil der »Eurokommunisten« in den 80er Jahren weiter zur undogmatischen und dem linken Bildungsbürgertum nahestehenden »Griechischen Linken« (EAR). Ende der 1980er Jahre, inmitten einer skandalbedingten Krise der PASOK-Regierung, formte diese mit der marxistisch-leninistischen KKE die »Koalition der Linken und des Fortschritts - Synaspismos« (SYN). Obwohl von Beginn an ein fragiles Gebilde kam das Wahlbündnis 1989 bei der Parlamentswahl auf 13,1 Prozent. Interne Auseinandersetzungen und der Kollaps der Sowjetunion führten aber 1991 zum Bruch.
Dennoch entschieden sich ein Jahr später undogmatische Linke und sogenannte KKE-Reformer, die verbliebenen Reste von Synaspismos in eine Partei umzuwandeln. Dieser gelang der Einzug ins nationale Parlament erstmals 1996. In den folgenden Jahren rang die Partei beständig darum, die Drei-Prozent-Hürde zu überwinden. Nach den Wahlen im Jahr 2000 erfolgte die erste große Spaltung der Partei. Protagonisten des »rechten Flügels« wanderten zur Sozialdemokratie ab und SYN rückte im Parteienspektrum weiter nach links. So konnte sie weitere linke Gruppen und soziale Bewegungen an sich binden. 2004, kurz vor der Parlamentswahl, wurde zum ersten Mal die »Koalition der radikalen Linken - SYRIZA«, gebildet, welche aber lediglich 3,26 Prozent der Stimmen errang. Das Wahlbündnis zerfiel weitgehend. Erst 2007 konnte SYRIZA unter veränderter Zusammensetzung wiederbelebt werden. Fundament der teils weit auseinander stehenden Parteien und Gruppierungen waren erneut der Kampf gegen den neoliberalen Umbau Griechenlands sowie die enge Bindung an die globalisierungskritische Bewegung.
Ungeachtet der Tatsache, dass auch maoistische und trotzkistische Gruppen in SYRIZA mitarbeiteten, blieb Synaspismos stets die tragende Säule. SYN gelang es beispielsweise, trotz einer tiefen EU-Skepsis innerhalb des Bündnisses, den Verbleib Griechenlands in der Europäischen Union programmatisch durchzusetzen. Nach dem mit 5,04 Prozent gestärkten Einzug ins Parlament 2007 schlossen sich weitere Gruppen dem Bündnis an. Bei der Wahl 2009 ging der Stimmenanteil dennoch auf 4,6 Prozent zurück. Der immer wieder aufflackernde Flügelstreit führte während der einsetzenden Finanzkrise beinahe zur endgültigen Spaltung. 2010 verließ ein großer Teil des abermals »rechten Flügels« Synaspismos und gründete »als konstruktive, linke Opposition« zu PASOK die »Demokratische Linke« (Dimar). Die Parteiführung um Alexis Tsipras, seit 2008 Vorsitzender, konnte Synaspismos weiter öffnen und enttäuschte Mitglieder sowohl von PASOK als auch von der KKE für eine Mitarbeit in SYRIZA gewinnen.
Am 6. Mai 2012 erhielt SYRIZA so mit 16,8 Prozent die zweitmeisten Wählerstimmen. Nachdem die Koalitionsversuche der erstplatzierten Nea Dimokratia gescheitert waren, erhielt Tsipras den Auftrag für Sondierungsgespräche. Dieser hatte vor den Wahlen für ein gemeinsames Bündnis aller linken Kräfte geworben. Seine diesbezüglichen Versuche aber waren an der gemeinsamen wie trennenden Geschichte der griechischen Linken gescheitert.
Die Weigerung von Tsipras, eine Koalition mit PASOK einzugehen und trotzdem weiter für eine Linksregierung zu werben, ließen die Umfragewerte für SYRIZA sogar steigen. Sie sagten für einen erneut nötig gewordenen Urnengang ein Kopf-an-Kopf-Rennen von ND und SYRIZA voraus. Größtes Hindernis für die Linkspartei sollte aber der Siegerbonus im griechischen Wahlsystem sein. Danach erhält die stärkste Partei 50 Bonusmandate in dem gerade einmal 300 Sitze zählenden Parlament. Da nur Parteien und nicht Wahlbündnisse im Falle eines Wahlsieges davon profitieren, ließ sich SYRIZA noch vor dem zweiten Urnengang am 17. Juni 2012 als Partei registrieren. Zwar reichte es auch im zweiten Anlauf nicht für eine Linksregierung. Dennoch legte SYRIZA noch einmal über zehn Prozent zu und erzielte 26,9 Prozent. Seitdem ist SYRIZA stärkste Oppositionskraft im griechischen Parlament.
Obwohl die Steigerung der Wahlergebnisse von 4,6 Prozent (2009) auf 26,9 Prozent (Juni 2012) beispiellos in der Geschichte der europäischen Linken ist, besteht das eigentliche Verdienst SYRIZAs in der Herausbildung kontinuierlicher (Arbeits)Strukturen. Zwar war die Überführung von einem Wahlbündnis in eine Partei einem gewissen Zwang gefolgt. Dennoch ist es gelungen, aus einem wechselhaften und über Jahre fragilen Zusammenschluss eine Partei zu formen. Gleichzeitig hat SYRIZA den Charakter als breites Bündnis linker, ökologischer und feministischer Kräfte nicht verloren. Anspruch war und ist es, Partei und Bewegung zu sein. Alexis Tsipras und SYRIZA beweisen seit zweieinhalb Jahren, dass sie dem weiterhin gerecht werden wollen. Auch daraus mag sich das eine oder andere »Missverständnis« deutscher Medien im Hinblick auf Programmatik und Agieren von SYRIZA speisen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.