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Schwer zu verurteilen

Untreueprozess gegen Halles OB erneut ohne Schuldspruch vertagt - Angeklagter teilte zuvor hart gegen Justiz aus

  • Hendrik Lasch, Halle
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Prozess gegen den Oberbürgermeister von Halle (Sachsen-Anhalt) wurde das Urteil zum zweiten Mal verschoben. Bernd Wiegand wird Untreue vorgeworfen, weil er Vertraute zu gut bezahle.

Paukenschlag zur Mittagsstunde: Auch am 23.Verhandlungstag im Untreueprozess gegen Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) gab es keinen Schuldspruch. Die Kammer komme an diesem Tag nicht zu einem Urteil, sagte Helmut Tormöhlen, Vorsitzender Richter am Landgericht Halle, nach zweistündiger Beratung am Donnerstag. Mitte Dezember war bereits ein erster Termin für ein Urteil geplatzt. Die Entscheidung soll nun erst am 9. Februar fallen. Die maximal mögliche Frist von elf Tagen nach dem letzten Wort des Angeklagten wird damit voll ausgeschöpft.

Dieses letzte Wort Wiegands, das tatsächlich aus einem gut 40 Minuten währenden Redeschwall bestand, bestimmte damit den Tag am Landgericht. Vor dem mit Journalisten, Stadträten und Bürgern voll besetztem Saal nutzte der Rathauschef die Gelegenheit zu einer Generalabrechnung mit der Staatsanwaltschaft und politischen Gegnern in der Kommunalpolitik. Das Verfahren bezeichnete er als »politische Intrige gegen einen parteilosen Oberbürgermeister, die Geschichte schreiben wird«. Deren »Drahtzieher« würden sich zu verantworten haben, sagte der 58-Jährige. Den Ermittlern warf der Verwaltungswirt vor, eine »schlampige und politisch vorgefertigte« Anklageschrift abgeliefert zu haben. Gründe für eine Verurteilung sehe er nicht. »Ich habe mir nichts vorzuwerfen«, sagte er: »Eigentlich kann es nur ein Freispruch sein.«

Das sieht die Staatsanwaltschaft anders. Sie legt Wiegand zur Last, einigen Mitarbeitern, die er nach seiner Wahl im Dezember 2012 anstellte, zu viel Geld zu zahlen und damit der Stadt zu schaden. Es geht um seine Büroleiterin sowie zwei Referenten - Positionen, die Wiegand als »Vertrauensstellen« bezeichnet. In der Kritik steht besonders die Eingruppierung in sogenannte Erfahrungsstufen. Den Mitarbeitern wurde Stufe 5 gewährt, obwohl sie laut Anklage nicht über die nötige Berufserfahrung verfügen. Die Staatsanwaltschaft beziffert den entstandenen Schaden während Wiegands Amtszeit, die bis 2019 dauert, auf 290 457,19 Euro.

Wiegand hält das für grotesk. Er legte am Donnerstag noch einmal dar, dass es kein geregeltes Verfahren in der Stadtverwaltung gebe und er über Ermessensspielraum verfüge. Gesucht habe er für die Stellen »das beste Personal, das auf dem Markt möglich ist«; im Rathaus sei er nicht fündig geworden. Die Berechnung der Schadenshöhe sei fehlerhaft. Die Mitarbeiter wären nicht sieben Jahre lang auf der niedrigen Erfahrungsstufe verblieben - und sie hätten mit ihrer Arbeit »Konsolidierungsleistungen« erbracht, sprich: für Einsparungen im Etat der Stadt gesorgt.

Prognosen dazu, wie Wiegands Philippika bei den Richtern ankommt, wagen Beobachter nicht. Der Rathauschef hatte nicht nur gegen »anonyme Schmutzfinken« in der Verwaltung gewettert und den »enormen politischen Druck« beklagt, den die zur OB-Wahl unterlegenen Parteien CDU und SPD ausübten - eine Situation, die er ein »politisches Fegefeuer« nannte. Er teilte darüber hinaus auch hart gegen die Justiz aus. Obwohl der Vorsitzende Richter Tormöhlen an einem früheren Verhandlungstag das Gegenteil betont hatte, bekräftigte der Rathauschef, es »bleibt aus meiner Sicht ein politischer Prozess«.

Kenner sahen die Chance für den von der Verteidigung geforderten Freispruch zuletzt schwinden. Indiz ist ein von Tormöhlen erteilter rechtlicher Hinweis. Der wäre nur bei einer beabsichtigten Verurteilung erforderlich.

Ausschlaggebend für Wiegands berufliche Zukunft wäre die Höhe des Strafmaßes: Wird er zu mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt, muss der Stadtrat ihn vom Amt suspendieren. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von 16 Monaten auf Bewährung sowie eine Geldbuße gefordert. Allerdings wäre Wiegand den OB-Posten erst los, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Es gilt aber als ausgemacht, dass der Schuldspruch von der unterlegenen Seite beim Bundesgerichtshof angefochten wird.

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