Athen setzt Troika vor die Tür
Schulz schlägt längere Tilgungsfristen für Griechenland vor und spricht von »Richtungswechsel« / Finanzminister Varoufakis: Keine Kooperation mehr / Bundesregierung dementiert Spiegel-Bericht: keine Bereitschaft zu neuem Hilfspaket
Update 22.30 Uhr: Griechische Medien berichten, bei der Pressekonferenz von Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem und Griechenlands neuer Finanzminister Gianis Varoufakis sei es zu einem denkwürdigen Kurzdialog gekommen: Dijsselbloem habe Varoufakis laut Mega TV im Rausgehen zugeflüstert: »You just killed the Troika.« Darauf der griechische Finanzminister: »Wow«.
Update 22.10 Uhr: Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hat längere Tilgungsfristen für Griechenland vorgeschlagen. »Für einen Schuldenschnitt gibt es derzeit keine Mehrheit«, betonte der SPD-Politiker in einem »Spiegel«-Interview. Doch die Tilgungsfristen für die EU-Hilfskredite könnten gestreckt werden. »Derzeit soll die letzte Tilgung 2057 erfolgen.« Das um zehn Jahre hinauszuschieben, mache keinen großen Unterschied. Zugleich warnte er vor einem Euro-Austritt Griechenlands. Am Donnerstag hatte Schulz in Athen den neuen linken Regierungschef Alexis Tsipras getroffen. Griechenlands neuer Wirtschaftsminister Georgios Stathakis bekräftigte im »Spiegel« die Absicht seiner Regierung, »definitiv« Mitglied im Euro-Raum zu bleiben. Er verlangte aber Neuverhandlungen über das europäische Rettungspaket. Europa brauche eine neue Agenda für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung, die die negativen sozialen Effekte der Krise mildere. Schulz sprach sich mit Blick auf Frankreich und andere Staaten auch für eine nicht zu strikte Auslegung der Euro-Stabilitätspakts aus und stellte sich hinter Pläne des EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker. »Mit der Flexibilität, die Juncker vorgelegt hat, wird der Richtungswechsel jetzt in Formen gegossen«, sagte Schulz.
Update 21.35 Uhr: Als Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem und Griechenlands neuer Finanzminister Gianis Varoufakis nach zweistündigem Gespräch den Presseraum betraten, war die Atmosphäre zum Zerreißen gespannt. Die Politiker warfen sich giftige Blicke zu - und schenkten sich nichts. Als erster stieg Varoufakis in den Ring. Die Troika aus Kontrolleuren der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) sei ein »faules Gremium«, dessen Illegalität sogar das Europaparlament vergangenes Jahr hervorgehoben habe. Griechenland werde nicht mehr mit der Troika zusammenarbeiten. Das griechische Volk habe mit dem Wahlausgang klar beschlossen, es sei Schluss mit der Sparpolitik. Dijsselbloem entgegnete, Griechenland müsse die Auflagen der Geldgeber erfüllen. Der Eurogruppen-Chef forderte erwartungsgemäß Kontinuität und Einhaltung der Sparpolitik. Griechenland müsse die noch laufende Kontrollen abschließen. Erst danach könne man sehen, wie es weitergehen solle. Als Varoufakis aber den Wunsch der neuen Regierung für eine internationale Schuldenkonferenz bekräftigte, die einen Schuldenschnitt für Griechenland beschließen sollte, platzte es aus Dijsselbloem förmlich heraus: »Eine internationale Konferenz (zum Thema Griechenland) gibt es, und die heißt Eurogruppe.« Es wäre schade, wenn die Bemühungen der Griechen in den vergangenen Jahren umsonst gewesen wären. Die beiden Männer waren am Ende so aufgeladen, dass sie beim Auseinandergehen fast den obligatorischen Handschlag unterließen. Mit hochrotem Kopf gingen sie aus dem Raum. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatten sich ähnliche Szenen schon zuvor bei dem Treffen des Gastes aus Brüssel mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras abgespielt. Augenzeugen sagten, Dijsselbloem habe den neuen Regierungschef gefragt, wie es denn mit dem Abschluss des Sparprogramms Griechenlands nun weitergehen solle. »Welches Programm«, habe Tsipras geantwortet.
Update 21.30 Uhr: Die Bundesregierung hat einen »Spiegel«-Bericht dementiert, wonach Berlin bereit sei, Griechenland auch unter der neuen Regierung von Alexis Tsipras ein weiteres Hilfsprogramm aus dem Euro-Rettungsschirm zu gewähren. Das neue Rettungspaket benötige ein Volumen von bis zu 20 Milliarden Euro, schreibt das Nachrichtenmagazin unter Berufung auf Regierungskreise. Die Bundesregierung wies den Bericht klar zurück. »Es gibt keine Planung für ein neues Programm«, entgegnete der Sprecher des Finanzministeriums, Martin Jäger, am Freitag in Berlin. Zunächst müsse das laufende Programm abgeschlossen werden. Auch Spekulationen über Summen machten keinen Sinn, sagte der Sprecher. Vor einigen Wochen gingen Experten laut »Spiegel« noch von einem Finanzbedarf Athens von rund 10 Milliarden Euro aus. Inzwischen seien die Steuereinnahmen rückläufig, Privatisierungen blieben aus. Voraussetzung für die neue Geldspritze sei jedoch, dass Tsipras Reformauflagen und eine Aufsicht durch die Geldgeber-Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds akzeptiere, hieß es.
Update 16.10 Uhr: Griechenland will künftig nicht mehr mit den Geldgeber-Kontrolleuren der Troika zusammenarbeiten, sagte der Finanzminister Gianis Varoufakis am Freitag nach einem Treffen mit Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem in Athen. »Unser Land weigert sich mit der Troika zu kooperieren«, sagte Varoufakis. Das auferlegte Sparprogramm sei nicht in die Tat umsetzbar. Die griechische Bevölkerung habe es bei den Wahlen vergangenen Sonntag abgelehnt. Dijsselbloem forderte die Griechen dagegen auf, ihre Versprechungen einzuhalten. Eine internationale Konferenz über einen Schuldenschnitt, wie die neue Regierung sie fordert, lehnte Dijsselbloem ab. »Es gibt bereits eine solche Konferenz und die heißt Eurogruppe«, sagte Dijsselbloem. Die Reformkontrollen der Troika von der EU-Kommission, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank werden von vielen Griechen als Bevormundung abgelehnt.
Update 15.30 Uhr: Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, hat die ersten Maßnahmen der neuen Regierung in Griechenland gelobt. »Die von Alexis Tsipras geführte griechische Regierung macht sich sofort an die Umsetzung ihrer Wahlversprechen«, so Riexinger. »Der Aufschrei im konservativen Europa und in Brüssel ist laut und wütend: Es reicht nicht, dass die linke SYRIZA Wahlversprechen macht und gewinnt, nun will sie diese auch umsetzen. Das kennt man so gar nicht, hält es selbst ganz anders.« Riexinger sagte zudem, die Linkspartei werde »die Politik der neuen griechischen Regierung genau beobachten, die ersten Entscheidungen bereits sind sehr vernünftig«. Er sprach zudem von einem »Signal an ein Europa, das die Rettung des Finanzsektors vor die Rettung von Menschen stellt«. Aus über Jahren verkündeter Alternativlosigkeit zur Politik des Sparens eröffne sich nun ein Ausweg. Riexinger forderte »ein Zukunftsinvestitionsprogramm zur Bekämpfung der Jugend- und Massenarbeitslosigkeit. Statt Löhne und Renten zu senken, braucht es eine andere Steuerpolitik, die Millionäre und Milliardäre zur Finanzierung des Gemeinwohls und für die dringenden Investitionen zur Kasse bittet«. Angesichts der »Belehrungen und Anfeindungen aus Brüssel und Berlin« verdiene die neue griechische Regierung »unsere Unterstützung. SYRIZA ist Chance und Hoffnung zugleich – beides darf die Linke in Europa sich nicht kaputt machen lassen«, sagte der Linkenpolitiker.
Update 13.25 Uhr: Der Vize-Chef der EU-Kommission Jyrki Katainen hat die neue politische Führung in Griechenland vor einer Abkehr vom beschlossenen Reformkurs gewarnt. »Wir erwarten, dass die Regierung die versprochenen Verpflichtungen einhält«, sagte Katainen am Freitag im Deutschlandfunk. »Es ist wichtig, das immer wieder hervorzuheben und zu wiederholen, denn eine derartige finanzielle Verpflichtung bedeutet, dass andere europäische Bürger, Rentner, Arbeiter, Unternehmer, Geld geliehen haben oder Staatsanleihen gekauft haben im Bewusstsein, dass die Griechen auch die versprochenen Änderungen durchführen, die auch den griechischen Menschen helfen werden«, sagte Katainen. »Das sind zweiseitige Verpflichtungen, die nicht einseitig geändert werden dürfen.« Anstatt öffentliche Ankündigungen aus Athen zu kommentieren, wolle die EU-Kommission aber zunächst mit der neuen Regierung sprechen und sich deren Pläne anhören. »Im Moment ist nur wichtig, dass wir Griechenland in einer schwierigen Lage unterstützen und das Land ermutigen, weiterhin wachstumsfreundliche Reformen umzusetzen«, sagte Katainen am Freitag in Frankfurt: »Sonst werden die Probleme nie gelöst.« Im Moment verbiete es sich, über eine Eurozone ohne Griechenland zu spekulieren, sagte der Kommissar: »Wir brauchen Griechenland und ich erwarte, dass die Regierung sich an alle Verabredungen hält und das Land in der Eurozone bleibt.«
Update 8 Uhr: Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch hat die ersten Entscheidungen der neuen Regierung in Griechenland als teilweise sehr vernünftig bezeichnet. Endlich tue sich nun etwas, sagte er im Deutschlandfunk. »Endlich werden da die Superreichen mal zur Kasse gebeten.« Bartsch sagte, so einen Kurswechsel brauche es in ganz Europa. Die von deutschen Politikern vertretene These, der harte Sparkurs sei alternativlos, sei falsch. Mit Blick auf die umstrittene Koalition der Linkspartei SYRIZA mit der nationalistischen ANEL sagte der Linkenpolitiker, er habe mit dem Bündnis Probleme, wolle Regierungschef Alexis Tsipras aber an seiner Politik messen, nicht an dem rechtspopulistischen Koalitionspartner.
SYRIZA-Finanzminister: Verhandlungen über Schuldenregelung sollen beginnen
Berlin. EU-Vertreter reichen sich in Athen die Klinke in die Hand. Sie wollen erfahren, wie die griechische Regierung die Schuldenkrise überwinden will. Zum Bruch mit den Euro-Partnern will es der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras nicht kommen lassen. Aber die Ermahnungen der EU-Vertreter in Richtung der SYRIZA-Regierung reißen nicht ab. Am Freitag reist Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem nach Athen, um sich mit dem erst seit Beginn der Woche amtierenden Finanzminister Giannis Varoufakis zu treffen. Wie das griechische Finanzministerium mitteilte, sollen die Verhandlungen über eine Schuldenregelung beginnen. Diese zielten auf ein »Abkommen, das zu einer umfassenden und tragfähigen Lösung« führen werde.
Trotz aller Drohungen der internationalen Geldgeber hatte der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras das Rezept der rigorosen Sparpolitik für gescheitert erklärt und einen Schuldenerlass gefordert. Zudem will er Privatisierungen stoppen und Tausende entlassene Beamte wieder einstellen. Nach Angaben von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zeigt Athen Verhandlungsbereitschaft. Die neue Regierung beabsichtige keine einseitigen Schritte bei der Überwindung der Schuldenkrise, sagte Schulz am Donnerstag nach einem ersten Treffen mit Tsipras in Athen.
Der griechische Ministerpräsident erklärte, er wünsche eine Schuldenkonferenz. Dazu werde seine Regierung eine Liste mit Vorschlägen vorlegen, die mit den Partnern im Euroland besprochen werden sollten. Die Griechen müssten von der harten Sparpolitik befreit werden. Tsipras sprach von einer »neuen Beziehung« zwischen Athen und den EU-Partnern. Gemeinsames Ziel müssten Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen sein. Das Land plagen Verbindlichkeiten in Höhe von mehr als 300 Milliarden Euro.
Der Vorsitzende des Bundestags-Europaauschusses, Gunther Krichbaum (CDU), rief dazu auf, in den Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm Härte zu zeigen. »Wir sind nicht auf einem Basar«, sagte er der »Rheinischen Post«. Es gebe4 »keinen Spielraum für ein Entgegenkommen der EU gegenüber Griechenland«. Bayerns Finanzminister Markus Söder fordert ein Reformbekenntnis Athens. »Ohne Reformen kein Geld«, sagte der CSU-Politiker der »Süddeutschen Zeitung«. Agenturen/nd
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