Spielfrei am Bierstand

Es gibt sie noch, die Oasen mitten im Fußball-Zirkus, die sich einen Dreck um 32-Millionen-Transfers scheren. Nicht aus moralischer Überlegenheit, sondern aus jahrzehntelang eingeübter Geschmackssicherheit.

Hin und wieder steht man am samstags ja auch mal mit ganz normalen Menschen herum. Fußballfans zum Beispiel, die ihr Herz einst an ganz normale Vereine verloren haben, die allenfalls ein wenig unpopulärer sind als solche, von denen schon Sechsjährige so oft gehört haben, dass sie sich zu Weihnachten das neue Trikot aus dem Fanshop wünschen. Ich gebe es ja zu: ich stehe deutlich lieber mit Fans aus Osnabrück, Jena oder Essen am Bierstand als mich mit Weihnachts-Trikot-Menschen unterhalten zu müssen. Und wenn sie sechsmal so alt sind.

Als ich kürzlich mal wieder mit ein paar sympathischen Fans eines weithin unterschätzten Drittligisten am Bierstand weilte, wurde ich schnell als verhaltensauffällig geoutet. Offenbar irritierte es die älteren Herrschaften, dass ich alle halbe Stunde (oder war es öfter?) auf mein Telefon schaute, um die aktuellen Zwischenstände aus der ersten Liga mitzubekommen. Konsens in der Runde: Es gibt doch wohl nichts Langweiligeres als die Bundesliga, wenn er ohne einen solch glamourösen, verschärft charismatischen Verein wie den eigenen auskommen muss. Nicht, dass man rebellieren würde, wenn selbiger durch ein glückliches Geschick, endlich mal erstklassig wäre. Aber Leverkusen, Dortmund, Augsburg und Co.? Pfff, dann doch lieber die Lottozahlen vom vergangenen Jahr im Liveticker...

Ich weiß natürlich, dass es mir ähnlich gehen würde, wäre ich Fan eines Drittligavereins und nicht notorisch neutraler Sportjournalist, der vor den Anfeindungen der Parteilichkeit bei einem Spiel von Ingolstadt gegen den, sagen wir mal, KSC, so gefeit ist wie ein Franziskanermönch vor den Versuchungen der Fleischeslust.

So aber kann ich der ersten Liga gerade einiges abgewinnen – vorausgesetzt, man akzeptiert, dass in einer Welt, in der Handelskonzerne in Geheimverhandlungen bestimmen, wo es in Europa politisch langgeht, der Profifußball nicht so recht zur vorkapitalistischen Oase taugt. Natürlich ist es ein wenig obszön, wenn in einer Liga (und jetzt mal lachen: Eine synonyme Wendung wäre: »gleicher Wettbewerb«) der eine Verein 32 Millionen Euro für einen einzigen Spieler ausgibt, während Vereine, gegen die André Schürrle demnächst spielen wird, sich gut überlegen, ob sie sich den Abwehrspieler gönnen, der 3000 Euro im Monat mehr verlangt als der Kollege auf der gleichen Position.

Mal gaaaaanz abgesehen davon, dass 3000 Euro für eine Krankenschwester ... ach, lassen wir das.
Also, Kopf aus, Augen auf: Tolle Sache, die Bundesliga. Werde ich mir heute Abend auf jeden Fall anschauen. Die Bierstände in der Dritten Liga haben ja spielfrei.

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