Das ist kein Völkerball
Die Argumente von Merkel und Co. gegen einen Schuldenschnitt für Griechenland – und warum sie wenig taugen
Seit das Linksbündnis SYRIZA in Griechenland die Regierung führt, steht das Thema Schuldenschnitt im Zentrum der öffentlichen Debatte. SYRIZA fordert eine Senkung der Schulden. Die Bundesregierung und andere EU-Staaten zeigen sich unerbittlich: Einen Schuldenerlass wird es nicht geben, egal in welchem Gewand er sich zeigen soll – so wird gebetsmühlenartig wiederholt. Aber warum eigentlich nicht? Hier die fünf zentralen Argumente der Schuldenschnitt-Gegner und was sich dahinter verbirgt.
1. »Die deutschen Steuerzahler sollen nicht für die Schulden Griechenlands bezahlen müssen«
Dazu ist Folgendes zu sagen, erstens: Die deutschen Kredite an Griechenland kommen nicht aus dem Steueraufkommen. Die Bundesregierung hat sich das Geld geliehen und an die »Krisenstaaten« weiter verliehen. Die »Krisenstaaten« zahlen Zinsen dafür. In diesem Sinne hat der »Steuerzahler« noch nichts gezahlt.
Zweitens: Ein Schuldenschnitt für Griechenland wäre ökonomisch absolut verkraftbar, sowohl für die Bundesrepublik als auch für die EU. In europäischen Dimensionen betrachtet sind die rund 320 Milliarden Euro griechische Schulden »Peanuts« – sie entsprechen etwa drei Prozent der Wirtschaftsleistung der Euro-Zone. Ursprünglich wollte die griechische Regierung, dass die Hälfte ihrer Schulden gestrichen wird – also ein Betrag, der nur 1,5 Prozent der Euro-Wirtschaftsleistung entspricht.
Und überhaupt: Was nutzt es dem »Steuerzahler«, wenn Griechenlands Pleite nur immer weiter hinausgezögert und sein Elend verlängert wird? Und was nutzt es ihm, wenn Griechenland definitiv Pleite geht und die Schulden gar nicht mehr zurückzahlen kann?
Das Interesse der »deutschen Steuerzahler« ist die stärkste Waffe der Schuldenschnitt-Gegner. Dabei liegt auf der Hand: Die Berufung auf die Steuerzahler ist ein rein instrumentelles Argument. Laut Umfragen sind zwar mehr als die Hälfte der deutschen Steuerzahler gegen einen Schuldenerlass für Griechenland. Das müsste die Bundesregierung allerdings nicht interessieren: In Umfragen zum Afghanistan-Einsatz war die Mehrheit der Befragten ebenfalls dagegen. Das hat die Bundesregierung nicht davon abgehalten, Millionen für diesen Krieg statt für Kitas auszugeben. Das Argument »der deutsche Steuerzahler« (respektive der europäische) nutzt die Bundesregierung für ihre Zwecke: Sie kann so tun, als führe sie in den Entscheidungen zu Griechenland nur den Willen der Bevölkerung aus. Die Regierung als Dienstleister!
So argumentieren Politiker wann immer möglich. Für alle Nicht-Politiker, also für die Steuerzahler gilt: Lasst euch nicht täuschen, denn in Europa geht es gar nicht um »Deutschland gegen Griechenland«, »Frankreich gegen Italien« oder »Niederlande gegen Spanien«. Das ist kein Völkerball.
Tatsächlich geht es um »Arm gegen Reich«, um »Lohnabhängige gegen Kapitalbesitzer« – also darum, dass die Ausgaben des Staates die Kapitalbesitzer unterstützen sollen statt soziale Maßnahmen zu finanzieren. Die normale Bevölkerung soll billiger werden, sparen, auf Lohn verzichten, mehr arbeiten, wettbewerbsfähiger werden (siehe »Agenda 2010«), um Investitionen in Europa rentabler zu machen. Die »Euro-Rettung« ist darauf angelegt, Investitionsrenditen zu erhöhen. Dafür müssen die einen zahlen und arbeiten, die anderen kassieren. Und das in jedem einzelnen Land.
Das Argument »Steuerzahler« dagegen sortiert die Menschen nach ihrer Nationalität. Nach dem Muster: Jeder Steuerzahler ist ein kleiner Finanzminister. Wer so denkt, hat die falschen Feinde: die Griechen, Deutschen, Spanier, Portugiesen, Franzosen.... Und er hat die falschen Freunde: seine Regierung und die heimische Elite. Der alte Spruch »Die Grenze verläuft nicht zwischen Nationen, sondern zwischen oben und unten« gilt nach wie vor.
2. »Ein Schuldenschnitt würde doch gar nichts bringen«
Das stimmt zum Teil, wenn man nur die Schulden Griechenlands bei den EU-Staaten und dem Euro-Rettungsschirm (EFSF) betrachtet. Für diese Kredite werden Zinsen und Rückzahlungen erst ab dem Jahr 2020 fällig. Nur ein wenig an Zinsen muss Griechenland schon jetzt zahlen, aber es handelt sich hier um Summen, die zu vernachlässigen sind. Wenn diese Schulden gestrichen werden, schafft das also Griechenland in den nächsten Jahren kaum Erleichterung. So weit stimmt der Einwand: Bei den Schulden von EFSF und EU-Staaten bringt ein Schuldenschnitt kurzfristig keine Verbesserung. Ab 2020 sieht die Sache natürlich auch hier anders aus. Aber schauen wir uns an, wie sich die Situation bei den Krediten der anderen Gläubiger darstellt.
Rund 50 Milliarden Euro schuldet Griechenland dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB). Und diese Schulden müssen schon jetzt bedient werden: Bereits dieses Jahr werden hierfür Zins- und Rückzahlungen über mehrere Milliarden fällig. Für diese Schulden würde also ein Schuldenschnitt auch kurzfristig etwas bringen. EZB und IWF dürfen aber laut Statuten die Schulden nicht streichen.
Will man diese Statuten nicht ändern, dann liegt die Lösung auf dem Tisch: Die EU-Staaten oder der Euro-Rettungsschirm übernehmen die Schulden von EZB und IWF, streichen Teile (sie dürfen das nämlich), senken Zinsen, legen die Schulden still, koppeln ihre Bedienung an das griechische Wirtschaftswachstum, was auch immer. Ob das jetzt passiert oder nicht, ist weniger mit ökonomischen Sachzwängen zu erklären, sondern ist eine politische Entscheidung: Indem man die Schulden nicht streicht, kann man den Druck auf Griechenland dauerhaft aufrechterhalten und die Politik des Landes kontrollieren. Denn ohne Schuldenschnitt braucht Griechenland immer neue Kredite von der EU, und die erhält es nur, wenn dort weiter die sogenannten Reformen durchgesetzt werden (Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Privatisierungen, Entlassungen, Schwächung der Gewerkschaften, Kürzungen, usw.). Genau damit will die Regierung von SYRIZA Schluss machen – und genau das erlauben Bundesregierung und Troika (EU-Kommission, IWF, EZB) nicht. Im Gegenteil, sie wollen die »Reform«politik europaweit durchsetzen.
3. »Griechenland hat schon einen Schuldenschnitt bekommen!«
Im Jahr 2012 gab es tatsächlich einen Schuldenschnitt für Griechenland. Damals ging es um die Kredite von privaten Gläubigern (Banken, Investmentfonds, Versicherungen). Sie verzichteten auf Forderungen über 100 Milliarden Euro, heißt es (tatsächlich sanken Griechenlands Schulden viel weniger). Schön und gut. Aber:
Erstens ist ein Schuldenschnitt für sich kein Argument gegen einen zweiten Schuldenschnitt, sollte Griechenland ihn brauchen.
Zweitens ging es damals nicht darum, dass durch den Schuldenschnitt Geld frei wird für Infrastruktur, Soziales oder ähnliches. Ziel der Angelegenheit war, die Schuldenlast Griechenlands »tragbar« zu machen. Gestrichen wurde nur der Teil der Schulden, den man für ohnehin uneinbringbar hielt. Der Rest blieb bestehen. Durch den Schuldenerlass sollte Griechenland die Bedienung dieser Restschulden ermöglicht werden. Das war die »Rettung«: Die Ansprüche der Gläubiger sollten gesichert werden, und dafür musste das Land natürlich weitere soziale Einschnitte aufbringen.
Profitiert haben davon die privaten Gläubiger, also die Banken und Investmentfonds, die Griechenland Geld geliehen hatten: Sie mussten ihre Griechenland-Kredite nicht voll abschreiben, sondern konnten einen Teil retten, weil die EU und der IWF einsprangen. Im Ergebnis liegen Griechenlands Schulden nun bei EU und IWF und die privaten Geldgeber sind fein raus.
4. »Griechenland muss sich an die Vereinbarungen halten!«
Auch das ist für sich kein Argument. Verträge können verändert werden. Auch die Bundesrepublik erhielt 1953 einen großen Schuldenerlass, um die Wirtschaft des Landes zu stärken. Und übrigens: Die Zwangsanleihe, mit der das Dritte Reich im Zweiten Weltkrieg Millionen aus Griechenland herausholte, wurde nie zurückgezahlt. Von wegen »Verträge müssen eingehalten werden«!
Der wahre Grund dafür, dass die Bundesregierung auf die Einhaltung der Vereinbarungen besteht, ist: Es gibt keinen Schuldenschnitt, weil es keinen geben darf. Das ist zwar ökonomischer Irrsinn – »Man kann Länder nicht mitten in einer Depression ausquetschen«, sagte jüngst sogar US-Präsident Barack Obama. Doch Bundesregierung und EU bleiben hart, verweigern jeden Schuldenschnitt. Das ist eine politische Entscheidung – kein ökonomischer Sachzwang, sondern Ausdruck eines Interesses.
Die Schulden Griechenlands sollen aufrechterhalten werden,
- um nicht zugeben zu müssen, dass die Politik der Troika komplett gescheitert ist. Die sogenannten Reformen haben in Griechenland nämlich bislang zu einer Schrumpfung der Wirtschaft um 25 Prozent, einer Arbeitslosenrate von 25 Prozent (50 Prozent bei Jugendlichen und jungen Erwachsen), einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems usw. geführt. Gleichzeitig wuchs durch den »Sparkurs« die Schuldenlast immer weiter.
- um weiter Druck auf Griechenland und andere Länder auszuüben. Das gibt die Bundesregierung auch offen zu. Ein Schuldenschnitt oder andere Erleichterungen könnten »den Reformwillen in Europa erlahmen lassen«.
- um am Beispiel Athen ein Exempel zu statuieren und ein Signal an alle Länder Europas zu senden: Wer innerhalb der Eurozone die »Hilfe« anderer Staaten braucht, der erhält sie nur, wenn er sich bereit erklärt, alles dem Spar- und Reformdiktat der Geldgeber unterzuordnen und notfalls auch große Teile seiner Wirtschaft zu opfern. Ganze Länder, ihre Bevölkerungen und ihre Wirtschaft werden dabei einem Maßstab untergeordnet: »Schuldentragfähigkeit«. Ein Land muss – fern jedweder ökonomischer Notwendigkeit – alles tun, um seine Verbindlichkeiten zu bedienen, koste es, was es wolle: Schuldenbedienung ist wichtiger als die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Leute. Damit Schulden bedient werden können, wird Menschen die medizinische Versorgung gestrichen, ihre Wohnung zwangsversteigert, ihnen wird der Strom abgestellt und der Lohn gesenkt. Hauptsache das Land bezahlt die Schulden zurück, bedient also die Ansprüche der Gläubiger und das heißt meistens: der Anleger an den Finanzmärkten.
5. »Wir haben Griechenland doch schon genug geholfen!«
Was heißt hier »Hilfe«? Griechenland erhielt doch keine milden Gaben, sondern Kredite. Wären Kredite »Hilfen«, so wäre jede Bank eine Hilfsorganisation. Die Kredite der EU-Staaten an Griechenland dienten nicht dem Zweck, den Menschen dort Leid zu ersparen. Das wäre eine »Hilfe« gewesen! Ihr Ziel war es zum einen, die privaten Geldgeber Griechenlands vor hohen Verlusten zu schützen. Zum anderen sollte durch eine Vermeidung der Staatspleite Griechenlands die Euro-Zone stabilisiert werden, die die Basis des wirtschaftlichen Erfolgs gerade Deutschlands ist. Also: Die EU hat nicht Griechenland vor der Pleite gerettet. Sondern: Die EU hat sich vor den Folgen einer Griechenland-Pleite gerettet. Die »Hilfs«kredite waren nicht als Hilfe gedacht, sondern als Investition. Dass sie sich lohnt, dafür sollen die Menschen in Griechenland geradestehen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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