Griechenland wird Europas Agenda nicht verändern
Andreas Wehr über die Auswirkungen der Griechenlandwahl auf andere Staaten der Europäischen Union
Alexis Tsipras ist der Hoffnungsträger der Linken. Nicht nur in Griechenland, in ganz Europa setzt sie auf ihn. Er selbst sieht den Sieg von SYRIZA nur als Auftakt: »Die notwendige Wende in Europa findet hier in Griechenland ihren Anfang. Und unser Wahlsieg wird Ende des Jahres auch zum Sieg des spanischen Volkes. Mit Podemos und Izquierda Unida an der Regierung. Und ein Jahr später zu einem Sieg des irischen Volkes. Mit der Sinn Fein von Gerry Adams.« Die in Europa Herrschenden fürchten einen solchen Dominoeffekt. In der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« hieß es: »Nach Banken- und Staatsschuldenkrise steht Europa womöglich eine Krise des politischen Establishments bevor, dem zunehmend die demokratische Legitimation abhandenkommt. Der Aufstieg der europaskeptischen Protestparteien macht es immer schwerer, die notwendigen Strukturreformen zur Rettung des Euro politisch durchzusetzen.« Die ersten Maßnahmen der neuen griechischen Regierung sind vielversprechend. Der gesetzliche Mindestlohn wird deutlich erhöht, Privatisierungen gestoppt und unrechtmäßig aus dem öffentlichen Dienst Entlassene wieder eingestellt. SYRIZA hat aber seinen Wählern noch viel mehr versprochen: Die Schuldenrate von 176 Prozent des Bruttoinlandsprodukts soll durch einen Schnitt deutlich gedrückt und die sozial verheerende Kürzungspolitik der Troika - bestehend aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds - ein für alle Mal beendet werden.
Doch der Handlungsspielraum der Regierung ist äußerst eng. Nach fünf Jahren »Rettungspolitik« ist das Land bankrott. Erdrückend ist die Macht der übrigen Euroländer als Gläubiger. Sie sind sich sicher, dass ihnen Athen ausgeliefert bleibt, denn an die Kapitalmärkte kann das Land nicht zurückkehren. Die dort zu entrichtenden Zinsen wären utopisch hoch und andere institutionelle Gläubiger, etwa Russland oder China, stehen nicht bereit. Man will daher Griechenland in die Knie zwingen.
Die EZB gab bereits einen ersten Warnschuss ab. Sie akzeptiert griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit, da sie Zweifel hat, ob das Spar- und Reformprogramm erfolgreich abgeschlossen werde. Ernüchternd verliefen die Gespräche von Tsipras in Rom und Paris. Zwar reagierte man dort nicht ganz so schroff abweisend wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Berlin, doch den von SYRIZA erhofften Pool der Euroländer des Südens als Gegengewicht gegenüber Deutschland wird es nicht geben. Die Abhängigkeiten der Italiener und Franzosen von Berlin sind einfach zu groß.
Überhaupt spricht nichts dafür, dass man Hellas von jener Austeritätspolitik ausnehmen wird, die man auch Portugal, Irland und Zypern auferlegte, und die man jetzt von Frankreich, Italien und Spanien verlangt. Zur Durchsetzung dieser Politik hat man in den vergangenen Jahren den Stabilitäts- und Wachstumspakt verschärft und den Euro-Plus-Pakt sowie den Fiskalpakt geschaffen. Mit dem Europäischen Semester, mit dem die Haushaltspläne der Länder noch vor ihrer Verabschiedung von Brüssel kontrolliert werden, verfügt man über ein weiteres Instrument der Disziplinierung. Würde man gegenüber Athen heute nachgeben, so fürchtet man, würden sich morgen weitere Staaten gegen diese Maßnahmen auflehnen.
Die Verhandlungsmacht der neuen Regierung in Athen wäre größer, würde sie damit drohen, bei einer unveränderten Politik der europäischen Gläubiger die Euro-Zone oder gar die EU zu verlassen, um ihren eigenen Weg jenseits von äußerer Bevormundung zu gehen. Dies wäre ein wirksames Mittel, um ein Einlenken zu erzwingen, denn ein Ausscheiden nur eines Landes destabilisiert die gesamte Währungszone. Eine solche Möglichkeit hat aber Tsipras ausdrücklich ausgeschlossen.
Von Griechenland als einem kleinen und schwachen Mitgliedsland in der Union, das noch dazu in einer aussichtslosen wirtschaftlichen Zwangslage steckt, ist nicht zu erwarten, dass es die europäische Agenda verändert. Am Ende wird Tsipras froh sein, kann er überhaupt etwas von seinem Programm durchsetzen. Doch selbst um nur einiges dort zum Besseren zu wenden, braucht es heute die Solidarität aller Linken in Europa. So muss es wieder heißen: »Wir sind alle Griechen!«
Mehr von unserem Autoren ist unter www.andreas-wehr.eu zu lesen.
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