Algeriens weibliche Stimme ist verstummt
Der Autorin und Filmemacherin Assia Djebar wurde eine angemessene Würdigung in ihrer Heimat versagt
Die unter dem Pseudonym Assia Djebar bekannte algerische Schriftstellerin und Filmemacherin Fatima-Zohra Imalayène ist am Freitag im Alter von 78 Jahren in einem Pariser Krankenhaus verstorben. Kommende Woche soll sie in ihrer Heimatstadt Cherchell westlich von Algier beerdigt werden.
Aber ist die Küstenstadt Cherchell überhaupt ihre Heimatstadt? In Rahmen der Vorbereitung von Djebars Beerdigung haben die zu Cherchell gehörenden Kommunen laut der algerischen Zeitung »El Watan« die Anweisung »von oben« erhalten, erst die Geburtsurkunde der verstorbenen Autorin aufzutreiben, um ihren Geburtsort ausfindig zu machen. Ohne Erfolg. Djebars Onkel soll einem Journalisten des ZDF gesagt haben, Djebar sei in der Provinz Bouira, südöstlich von Algier, geboren worden. »Das Geheimnis wird sorgsam gehütet, aber aus welchem Grund?« fragt der Journalist M’hamed Houaoura.
Djebar war eine sehr politische Schriftstellerin, die sich für Frauenrechte und demokratische Erneuerung in Algerien einsetzte. 1936 geboren, verbrachte sie in Cherchell einen Teil ihrer Kindheit. Ihr Vater war dort Lehrer an der französischen Schule, ihre Mutter eine strenggläubige Frau. Während ihr Vater sie auf die Kolonialschule schickte, bestand ihre Mutter darauf, dass sie die örtliche Koranschule besuchte.
Mit 18 Jahren ging Djebar nach Frankreich und wurde als erste algerische Frau an einer Eliteuniversität aufgenommen. 1956, in den ersten Jahren des algerischen Unabhängigkeitskampfes, nahm sie am Streik der algerischen Studenten teil. Während des Befreiungskrieges arbeitete sie für die Zeitung »El Moujahid« der Nationalen Befreiungsfront, in der sie Interviews mit algerischen Flüchtlingen in Marokko veröffentlichte.
Als Schriftstellerin wurde Djebar 1957 mit ihrem Roman »La Soif« (»Durst«) bekannt. Ihre ausschließlich auf Französisch verfassten Werke zeugen von der Zerrissenheit der Algerier und Algerierinnen zwischen Kolonialherrschaft und eigenen Traditionen. Ihr 1996 veröffentlichtes Buch »Weißes Algerien« handelt von Morden an Intellektuellen während des Kolonialkrieges, ein Thema, das in Algerien lange nicht angetastet wurde: an die Toten erinnern, diese »geliebten Verschwundenen«, den Horror ihres Todes und ihre letzten Momente, den Schmerz der Angehörigen rekonstruieren als eine Zeremonie in einem Land, das dem Krieg ausgeliefert ist. Das ist das Anliegen ihres Buches. Es verlangt nach einer sofortigen, einer anderen Aufarbeitung der algerischen Geschichte, des kollektiven Gedächtnisses.
Bis in die 80er Jahre glaubte Djebar an Veränderungen in Algerien hin zu mehr Rechten für Frauen und überhaupt eine Demokratisierung. Viele Jahre unterrichtete sie Geschichte an der Universität Algier. Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste des in den 80ern »berberischen Frühlings« und dem brutalen Bürgerkrieg im Algerien der 90er Jahre stand sie den Herrschenden in Algier jedoch zunehmend kritisch gegenüber.
Im Laufe ihrer Karriere hat Djebar mehr als 15 Romane sowie Kurzgeschichten und Gedichte geschrieben und mehrere Filme produziert. Ihre Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. In Algerien sind sie jedoch wenig bekannt. Für den Dichter und Journalisten Omar Azerradj war Djebar eine literarische Stimme Algeriens, die der Kultur der Marginalisierung der Frauen in der algerischen Gesellschaft ein Ende setzen wollte. In der algerischen Zeitung »El Chorouk« kritisiert er, die Regierung habe nie auf der Seite Djebars gestanden. »Trotz dem, was die Tochter Algeriens dem Land gegeben hat, hat das Kulturministerium Djebar nicht geehrt, so wie sie es ihrem Werk angemessen gewesen wäre.« Weder hätten sich literarische Lesezirkel in Algerien mit ihren Büchern befasst, noch sei ihr ein Preis verliehen worden. Auch habe Algier Djebar nie für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen.
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