Humanoide Billigjobber
Arno Klönne über den Robotereinsatz bei VW und die damit einhergehende Hilflosigkeit der Gewerkschaften
Die »Welt am Sonntag« brachte vor kurzem einen hochinteressanten Bericht aus der deutschen Arbeitswelt: Die VW-Aktiengesellschaft macht sich daran, systematisch menschliche Arbeit durch den Einsatz von Robotern zu ersetzen. VW ist weltweit die Nummer 2 unter den Herstellern von Kraftfahrzeugen, in der Bundesrepublik gilt das Unternehmen als vorbildlich in der Rücksichtnahme auf Arbeitnehmerinteressen. Die IG Metall ist bei den Wolfsburgern besonders gut vertreten.
Horst Neumann, gewerkschaftlich aufgewachsener Personalvorstand bei VW, begründet den geplanten Umbau in Richtung auf »humanoides« Produzieren mit Rentabilitätsargumenten: Im internationalen Markt verliere VW an Konkurrenzfähigkeit durch zu hohe Arbeitskosten: »40 Euro pro Stunde (im Automobilbau) in der Bundesrepublik, nicht einmal zehn Euro in China«. Ein Roboter hingegen werde bei VW denselben Effekt bei nur fünf Euro pro Stunde erbringen. Vom unternehmerischen Interesse her ist das plausibel.
Damit der Übergang in »humanoide« Produktionsweise den Arbeitnehmern und solchen Menschen, die Lohnarbeit suchen, nicht allzu sehr Sorgen bereitet, hat Neumann humanitäre Vorteile herausgestellt: Die Roboter würden »ergonomische Arbeit reduzieren« und »anstrengende körperliche Betätigung abschaffen«. Das klingt menschenfreundlich, hat aber einen massiven Haken: Wie sollen die Leute, die da in der Produktion überflüssig werden, an ihre Lohneinkünfte kommen? Auch dazu hat der VW-Manager ein beruhigendes Argument zur Hand: Die Babyboomgeneration gehe ja sowieso demnächst in Rente, bei VW jedenfalls.
Aber gibt es bei der jetzt nachwachsenden Generation dann kaum noch die Suche nach lohnabhängiger, durchaus »körperlicher« Arbeit? Werden im »zweiten Maschinenzeitalter« alle Lohn und Brot finden als digitale Helfer von Robotern, hoch qualifiziert, gut bezahlt und in sicheren Arbeitsverhältnissen? Ganz unrealistisch wäre es, dies anzunehmen.
Der VW-Betriebsrat ist bei dem »humanoiden« Projekt eingebunden. Er zeigte sich erfreut, dass »gesundheitlich belastende Tätigkeiten entfallen«. Die Perspektive der Arbeitnehmervertretung ist auf das eigene Unternehmen und die jetzige Stammbelegschaft beschränkt. Diese ist vergleichsweise gut gestellt und abgesichert.
Am Fall VW wird deutlich: Die Gewerkschaften agieren bei der fortschreitenden Automatisierung von Produktion hierzulande hilflos - gesamtgesellschaftlich betrachtet. »Gute Arbeit« - aber als Privileg der Arbeitnehmerschaft in fester Beschäftigung bei bestimmten Betrieben? Wird für das weiter anwachsende »Prekariat« und für die künftigen Arbeitsuchenden eine gewerkschaftliche, über den Einzelbetrieb hinausreichende Politik gar nicht mehr versucht?
Es ist nicht so, als sei das Thema »Digitalisierung« in gewerkschaftlichen Vorstandsäußerungen derzeit außen vor. Bei Ansprachen wird es immer erwähnt, Arbeitskreise sind gebildet, außerdem will man Gespräche darüber mit den im Bund regierenden Parteien führen. Kann darüber gesellschaftlicher Druck erreicht werden, um strukturelle Lösungen zu erreichen für die sich abzeichnenden Probleme bei Beschäftigung, Entlohnung von Arbeit und sozialer Sicherung für das Alter?
Die Bundeskanzlerin spricht seit einiger Zeit gern über die »Herausforderungen der digitalen Welt«. Sie denkt dabei offensichtlich an Notwendigkeiten von Forschung und Entwicklung - mit dem Blick auf unternehmerische Interessen. Nichts Konkretes war bisher von ihr zu hören über künftige Politikprogramme für die deutsche Arbeits- und Sozialwelt, wenn immer mehr Menschen durch Maschinen ersetzt werden. In dieser Hinsicht belässt es Angela Merkel bei der optimistischen Floskel, viele schöne neue Arbeitsplätze seien da zu erwarten. Wer das glaubt, wird regierungsselig.
Verdeckt sind damit die folgenden bedrängenden Fragen:
- In welchem Umfang kann wegfallende nichtdigitale Beschäftigung durch IT-Jobs ersetzt werden?
- Inwieweit bringt digitale Arbeit »Normalarbeitsverhältnisse« hervor?
- Wie lange würde ein digitaler Vorsprung der Bundesrepublik Wettbewerbsvorteile im Weltmarkt erzeugen? Keineswegs sind andere Staaten unfähig in Sachen IT-Technik.
Fazit: Die üblichen, nett allgemein gehaltenen Bekenntnisse zum schönen »zweiten Maschinenzeitalter« sind wie ein Pfeifen im finsteren Walde.
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