Als ein bayerischer Prinz die Hellenen regierte

Nauplia, von 1827 bis 1834 Griechenlands Hauptstadt, ist kaum bekannt.

  • Karsten-Thilo Raab
  • Lesedauer: 4 Min.
Obwohl Nauplia die wohl deutscheste Stadt in Griechenland ist und als erste Hauptstadt in die Geschichte des modernen Griechenlands einging, kennt kaum jemand das malerische 14 000-Seelen-Nest am Argolischen Golf.

Obwohl Nauplia die wohl deutscheste Stadt in Griechenland ist und als erste Hauptstadt in die Geschichte des modernen Griechenlands einging, kennt kaum jemand das malerische 14 000-Seelen-Nest am Argolischen Golf, rund 140 Kilometer südwestlich von Athen. Nauplia, auch Náfplio genannt, gilt als eine der schönsten Städte auf dem Peloponnes. Neoklassizistische Gebäude aus dem 19. Jahrhundert dominieren neben den drei Festungsanlagen das Stadtbild.

»In Nauplia ist die Geschichte allgegenwärtig«, schwärmt Thanos Kaloussis in fast akzentfreiem Deutsch. Der 35-Jährige ist ein Sohn der Stadt, wuchs aber in Wuppertal auf. Heute ist er wieder in Nauplia zu Hause, wo es für den Architekten, der sich auf Denkmalschutz spezialisiert hat, genügend zu tun gibt. Und wenn die Aufträge einmal ausbleiben, ist er gern Touristenführer und zeigt den Gästen auf einem von ihm konzipierten Rundgang die architektonischen Besonderheiten des charmanten Küstenstädtchens.

Infos

Touristeninformation Nauplia: www.nafplio.gr

Beste Reisezeit: Das Klima ist geprägt durch warme trockene Sommer und milde feuchte Winter. Von Mai bis in den Herbst hinein ist das Wetter weitgehend kon-stant mit wenigen Niederschlägen.

Rundgänge durch Nauplia (deutschsprachig) mit Thanos Kaloussis: E-Mail: naupliarundgang@yahoo.gr

Allgemeine Infos zum Tourismus in Griechenland: Griechische Zentrale für Fremdenverkehr, Holzgraben 31, 60313 Frankfurt am Main Tel.: (069) 257 827-0, www.gzf-eot.de

 

»Nach der Befreiung von den Ottomanen wurde Nauplia im Jahre 1827 die erste Hauptstadt des modernen Griechenlands, ehe 1834 der Regierungssitz nach Athen verlegt wurde«, schildert Thanos nicht ohne Stolz während des Spaziergang durch die engen, überwiegend autofreien Gassen der Altstadt. Vor einer kleinen Kirche, der Ágios Spiridonos, bleibt er stehen und zeigt auf ein unscheinbares Loch rechts neben der Eingangstür. Das ansonsten eher gewöhnliche Stück Wand des 1702 errichteten Gotteshauses markiert einen weiteren historisch bedeutsamen Moment in der jüngeren Geschichte der Hellenen. Denn vor dem Portal der Ágios Spiridonos wurde am 9. Oktober 1831 Griechenlands erster Ministerpräsident Ioánnis Kapodístrias vom Bruder eines verurteilten Steuersünders ermordet.

»Irgendwie symptomatisch für unser Land. Denn wir haben bis heute Probleme mit der Steuermoral«, spart Thanos nicht mit Kritik an den eigenen Landesleuten.

Nach der Ermordung von Kapodístrias kam es, so Thanos Kaloussis weiter, in Griechenland zu einem Machtvakuum. Großbritannien, Frankreich und Russland, die Griechenland entscheidend im Kampf um die Unabhängigkeit unterstützt hatten, schlugen daraufhin der griechischen Nationalversammlung vor, einen europäischen Fürsten zum König zu ernennen. Und die Wahl fiel auf den damals 16-jährigen bayerischen Prinzen Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach (1815-1867).

Mit einem Gefolge von 3500 Soldaten siedelte Otto I., der drei Jahrzehnte König von Griechenland bleiben sollte, nach Nauplia um. Weil er noch zu jung war, fungierte Joseph Graf von Armansperg als Vorsitzender des Präsidialrats. Während der eigens errichtete Sitz des Königs heute nicht mehr existiert, erinnert in Nauplia das Haus Armansperg noch heute an den für lange Zeit zweitwichtigsten Mann im Staate. »Ottos Regentschaft schuf die administrativen Grundlagen des modernen Griechenlands«, verweist Thanos auf die Tatsache, dass sich die griechische Gesetzgebung am deutschen Vorbild orientierte. Selbst das bayerische Reinheitsgebot für Bier trat mit der Inthronisierung von Otto I. zwischenzeitlich in Griechenland in Kraft.

Der Hauch der griechischen Geschichte lässt sich auch rund um den imposanten Verfassungsplatz, die Platía Sintágmatos, einatmen. Die Westseite des Hauptplatzes nimmt die mächtige, jedoch schlichte Fassade der einstigen Kaserne ein, die heute das Archäologische Museum beherbergt. Nur einen Steinwurf entfernt liegt am Südwestende der Platía Sintágmatos die im Jahre 1550 errichtete Vouléftiko Moschee. Diese war der erste Sitz des griechischen Parlaments. Heute dient der Komplex als Konferenzzentrum.

An der Konstantinos, der Haupteinkaufsgasse, erhebt sich die Alilodikatérion-Moschee, in die nach der Befreiung Griechenlands die erste Schule des Landes einzog. Ungewöhnlich ist auch die Bischofskirche. Das Gotteshaus mit dem Sitz von König Otto I. ist nämlich als ehemalige Moschee Richtung Mekka ausgerichtet und wurde erst nach der Vertreibung der Osmanen umgebaut.

Ansonsten ducken sich in der üppig mit Drillingsblumen berankten Altstadt einladende Tavernen, Bars, kleine Hotels, Souvenirgeschäfte und Boutiquen neben charmanten Häusern mit bröckelnder Fassade. Vor der Uferpromenade bildet die 1473 errichtete Festung Boúrtzi auf der kleinen Felseninsel Ágios Theodoros einen weiteren Blickfang.

»Das Kerngebiet der heutigen Altstadt war noch im 14. Jahrhundert ein riesiger Sumpf, der von den Venezianern zwecks Landgewinnung trockengelegt wurde«, berichtet Thanos. Lange Zeit war das restaurierte Landtor der einzige Zugang vom Festland in die Stadt.

Überragt wird Nauplia von zwei weithin sichtbaren Burganlagen: Von der 900 Meter langen und 400 Meter breiten Festung Akronáfplio existieren lediglich noch eine Reihe von Mauern und Bastionen aus hellenistischer, byzantinischer, fränkischer, venezianischer und türkischer Zeit. In das historische Ensemble, das bis in die 1950er Jahre auch ein politisches Gefängnis war, wurde das Fünf-Sterne-Hotel Nafplia Palace integriert.

Weitaus beeindruckender ist die Palmidis Festung aus dem Jahre 1687. Die Burganlage mit ihren acht Türmen thront auf einem 216 Meter hohen, felsigen Hügel hoch über der Stadt und ist über die »850 Stufen« zu erreichen - wobei es tatsächlich nur 780 Treppen sind. Doch der schweißtreibende Aufstieg lohnt sich. Bietet sich doch von der venezianischen Festung ein herrlicher Blick auf Nauplia, den Argolischen Golf und bei klarer Sicht bis zum 23 Kilometer entfernten Mykene - einer Ausgrabungsstätte in der noch weit mehr Geschichte geschrieben wurde, als in Nauplia.

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