»Abwärts Digger«

Über einen deprimierenden Abend am Milllerntor. Und einen Verein, der alles hat, was Fußball so grandios machen kann. Wenn nur diese Mannschaft nicht wäre ...

Wenn 20 Männer zu vorgerückter Stunde an einem Pissoir stehen und schweigen, wenn aus Witz Galgenhumor geworden ist, aus strahlenden Augen leere Blicke und aus Zweckoptimismus tiefste Verbitterung – dann ist Fatalismus mit Händen zu greifen. So geschehen am Montagabend am Hamburger Millerntor, als auch dem fröhlichsten Anhänger von Braun-Weiß klar geworden sein muss, dass eine Mannschaft, die so Fußball spielt, absteigt. Oder wie der Mann an der Pissrinne dann doch noch sagte, nachdem der Reißverschluss nach oben gezerrt war: »Geht abwärts, Digger!«

Es ist viel gelästert worden über den FC St. Pauli von 1910, über sein übereifriges Marketing, seine stets engagierten Fans, über die Heerscharen von Fanartikel-Hortern, die keinen Spieler kennen, Fußball für bestes Proletentum halten, aber »Pauli« dennoch total klasse finden, wegen »gegen rechts« und so. Über all das ist zurecht gelästert worden – vor allem von den eigentlichen St. Pauli-Fans.

Und doch muss man all seiner Sinne beraubt worden sein, wenn man an einem Abend am Millerntor nicht merkt, dass dieser Verein etwas Besonderes ist. Eine derart große Dichte von Menschen aller Generationen, die einem aus musikalischen, subkulturellen, politischen und zwischenmenschlichen Gründen sympathisch sein müssen, gibt es nirgendwo sonst. Schon gar nicht in irgendeinem anderen Stadion. Und jetzt haben sie am Millerntor sogar noch einen Präsidenten, der sich nicht an die Fans ranwanzen muss, weil er seit Jahrzehnten selbst einer von ihnen ist. Und das, obwohl er gerade mal 40 ist.

Schlimm nur, dass das mit dem Fußballspielen aber mal so rein gar nicht klappen mag. Wenn eine Mannschaft 45 Minuten braucht, um zu begreifen, dass der Gegner immer nach der gleichen Vorgehensweise angreift und die Schwachstelle hinten rechts ausnutzt, ist das ebenso bitter wie der Umstand, dass die komplette Offensive nach einer im Stehen verbrachten Stunde den Erschöpfungstod gestorben ist. Ob da ein Trainer weiterhilft, der nach solch einem Offenbarungseid ausschließlich auf den Schiedsrichter schimpft, sei da mal dahingestellt. Geht abwärts ...

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Sonntagsschuss