Kein Grund zur Entwarnung
Phillip Becher über den Einbruch von Pegida und eine mögliche Renaissance der selbst ernannten »Wutbürger«
Kaum ein Thema wurde in der deutschen Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten so breit diskutiert wie die unter der Abkürzung Pegida auftretende Bewegung. So viel über die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« seit ihrem ersten Auftreten im Oktober 2014 geredet und geschrieben wurde, so wenig scheint man jedoch aus ihnen schlau geworden zu sein.
Die jüngsten Eruptionen innerhalb der Führungsmannschaft und die drastisch abnehmenden Demonstrierendenzahlen erwecken nun den Eindruck, als wäre der Spuk inzwischen vorüber, so dass man sich das weitere Grübeln wohl getrost sparen könnte. Und in der Tat hat das Spaltprodukt »Direkte Demokratie für Europa« bei seiner ersten Kundgebung in Dresden nur einen Bruchteil der Massen auf die Straße gebracht, die zuvor den Aufrufen von Pegida folgten. Geht man rein mathematisch an die Sache heran, könnte der Eindruck entstehen, dass das Problem jetzt abzuhaken wäre. Dies wäre jedoch verfrüht, da bei einer solchen Betrachtungsweise das langfristig bestehende qualitative Problem aus dem Blick gerät.
Mit Pegida ist das potenzielle Ausmaß dessen markiert, was sich in diesem Land als rechte Massenbewegung auf dem Asphalt zusammenbringen lässt. Die Namen und Labels mögen sich wandeln, der ideologische Kern und die Stoßrichtung bleiben die gleichen. Kulturkämpferische Erklärungen gesellschaftlicher Phänomen werden breit rezipiert und weitergetragen und lenken erfolgreich von realen sozialen und politischen Konfliktlinien ab.
Gleichzeitig werden diejenigen, die Fehlentwicklungen etwas entgegensetzen könnten, als Teil des Problems ausgemacht. Pegida startete ihr Wirken laut Auskunft des Gründers Lutz Bachmann nämlich auch deshalb, weil es Aktionen im Sinne der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK in der Dresdener Innenstadt gegeben hatte. Deren Anhängerinnen und Anhänger sind jedoch alles, nur keine Islamisten. Vielmehr leisten PKK-Ableger in Syrien und Irak Widerstand gegen die Dschihadisten des »Islamischen Staates«. Die »Islamisierung des Abendlandes« als Chimäre funktioniert mobilisierend, unabhängig davon, wie nun die tatsächliche Interessenlage, die zur Formierung solcher vermeintlichen »Protestbewegungen« führt, aussehen möge.
Grund zur Entwarnung gibt es deshalb keinen. Die »Alternative für Deutschland« (AfD) als unausgesprochene Schirmherrin der selbst ernannten »Wutbürger« darf in diesem Zusammenhang nicht aus dem Auge gelassen werden. Sie war es, die sich von den in Parlamenten vertretenen Parteien am verständnisvollsten gegenüber Pegida zeigte. Anders als frühere Rechtsparteien in Deutschland wird die AfD von Profis geführt. Der mutmaßliche Eingriff von AfD-Politikerin Frauke Petry in die Choreographie des Rücktritts von Bachmann nach dessen bekannt gewordenen Fotos in Hitler-Pose, könnte auch der Versuch gewesen sein, Professionalität in außerparlamentarischen rechten Formationen durchzusetzen. Dieses fachmännische Profil scheint jedoch noch nicht vollkommen auf Pegida abgefärbt zu haben, so dass typische »Anfängerfehler« - wie auch der massenhafte Protest demokratischer Kräfte gegen die selbsternannten »Patriotischen Europäer« - zur gegenwärtigen Flaute beigetragen haben.
Mit dem gelungenen Einzug in die Hamburger Bürgerschaft am vergangenen Wahlsonntag hat die AfD dennoch die ausgesäte Ernte eingefahren. Hiermit wird zugleich eine Stärkung des operativen Gerüsts verbunden sein, durch das neue rechte Massenaktionen, ob nun als Pegida 2.0 oder in anderer Form, Rückenwind erhalten. Wer meint, beruhigt aufatmen zu können, der ist entweder vergesslich - denn es ist gerade mal vier Wochen her, dass 25 000 Menschen in der sächsischen Landeshauptstadt den Aufrufen von Bachmann, Kathrin Oertel und Co. folgten - oder könnte Pegida als eine vorübergehende Mode missdeuten. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, was an rückwärtsgewandter Mobilisierung in diesem Lande jederzeit möglich ist. Und wer in der Vergangenheit mit dem Finger auf das Nachbarland Schweiz deutete, wo Rechtspopulisten seit Jahren die Szenerie dominieren und pseudo-demokratisch mit Hilfe von Plebisziten reaktionäre Inhalte umsetzen, dem könnte entgangen sein, dass Pegida Vorbote für eine vergleichbare Entwicklung hierzulande sein könnte.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.