Nicht mal die Hälfte hält DDR für einen Unrechtsstaat
Ostdeutsche haben zudem Schwierigkeiten, in der Bundesrepublik ihre »politische Heimat« zu erkennen
Der Frage, ob die DDR nun ein Unrechtsstaat gewesen sei oder nicht, sorgte bei den Thüringer LINKEN im vergangenen Jahr für heftige Diskussionen. Während der Koalitionsverhandlungen von den Grünen zu einem Bekenntnis gedrängt, erkannte die Parteispitze - und qua Referendum auch die Basis - an, dass die DDR ein solcher Unrechtsstaat war. Doch eine Mehrheit der Bürger dieses Staates sieht das anders. Wie die Studie »Deutschland 2014 - 25 Jahre friedliche Revolution und Deutsche Einheit« zeigt, bewerten nur 46 Prozent der Befragten die verflossene DDR als Unrechtsstaat. Die Studienautoren führen das »auf die Sorge vieler Ostdeutscher zurück, dass Teile ihrer eigenen Biografie entwertet würden, wenn die DDR generell zu einem Synonym für Unrecht erklärt wird«.
Möglicherweise ist aber die Erinnerung vieler Bürger an die DDR eine andere. Trotz vieler Missstände und Ungerechtigkeiten war es dort nicht üblich, unliebsame Bürger von Todesschwadronen beseitigen zu lassen oder in Folterkellern zu quälen. Genau das legt der Begriff Unrechtsstaat aber nahe. Dass die Ossis den Charakter der DDR nicht durch die rosa Brille sehen, beweist der Umstand, dass 70 Prozent von ihnen das politische System dort als Diktatur betrachten.
Doch auch das heutige System betrachten sie mit einer Portion Skepsis. Nur knapp die Hälfte fühlt sich in der Bundesrepublik »politisch zu Hause«. Im Westen sind das immerhin drei Viertel aller Befragten. Eine weitgehende Angleichung konstatieren die Forscher bei den 14- bis 29-Jährigen: 64 Prozent im Westen und 65 Prozent der Angehörigen derselben Altersgruppe im Osten sehen in der Bundesrepublik ihre politische Heimat.
Weitgehend Konsens in allen Altersgruppen ist die Zustimmung zu der Aussage, dass die Demokratie die beste Staatsform sei. Dies meinen laut Umfrage 82 Prozent der »Ossis« und 90 Prozent der »Wessis«. Allerdings ist das nicht zu verwechseln mit der Zustimmung zum demokratischen System der Bundesrepublik. Hier sind die Werte durchweg schlechter. Derzeit »unterstützen« nur 72 Prozent der Ostdeutschen und 82 Prozent der Westdeutschen das Demokratiemodell à la Berlin. Dabei erweisen sich die Ergebnisse dieser Langzeitbefragung aber als äußerst volatil. Noch im Jahre 2007 gaben nur 35 Prozent der Ostdeutschen an, die »in Deutschland existierende Form der Demokratie« zu unterstützen.
Hier empfiehlt sich ein kleiner Rückblick zum Unrechtsstaat. So ergab die »Stellvertreterforschung« westdeutscher Demoskopen in den 70ern (siehe Randspalte), die sich auch in der aktuellen Studie wiederfindet, dass im Jahre 1976 rund 30 Prozent der DDR-Bürger das dortige System unterstützten. Das heißt im Umkehrschluss: Im Jahre 2007 war die Unterstützung für das gesamtdeutsche Demokratiemodell nur unwesentlich höher als das für die DDR im Jahre 76.
Etwa 60 Prozent der Ost-Bürger meinen heute, dass der Sozialismus eine gute Idee ist, die in der DDR nur schlecht umgesetzt wurde.
Insgesamt, so die Studienautoren, seien die Ostdeutschen »durchgängig skeptischer, kritischer und distanzierter«. Die Differenz werde aber deutlich kleiner. Aber nicht, weil die Ostdeutschen weniger kritisch werden. Die Annäherung erfolgt vielmehr von westlicher Seite. Mittlerweile sei das Vertrauen in Institutionen, Politiker und Parteien »in beiden Teilen Deutschlands gleich schlecht«.
Politiker sind unbeliebt - mit zwei Ausnahmen: Die »eigene« Partei, die man gut findet und wählt, genießt beim Einzelnen so hohes Ansehen wie Polizei und Gerichte, denen Ost- und Westdeutsche am meisten vertrauen. Auch Spitzenpolitiker werden deutlich positiver gesehen: »Politiker als Klasse mag überhaupt niemand, aber jeder mag Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier«, erklärt der Stuttgarter Soziologe Oscar Gabriel am Mittwoch bei der Vorstellung der Studie.
Interessant sind auch die Forschungsergebnisse über die Einstellungen der DDR-Bürger. Demnach dominierte seit Ende der 1970er Jahre in der DDR eine Grundhaltung, die sich mit folgenden Merkmalen beschreiben lässt: Geringe Identifikation mit dem Staat, Angepasstheit an die dort gegebenen Verhältnisse, mäßiges bis starkes politisches Interesse sowie eine starke Orientierung an der Bundesrepublik. Dem sollen lediglich etwas mehr als 15 Prozent gegenüber gestanden haben, die sich entschieden zur DDR bekannt hätten. Diese Ergebnisse decken sich aber nicht mit denen zur Einstellung zur DDR, die deutlich positiver für die SED ausfielen.
Bei der Frage nach den »wichtigen Dingen im Leben« rangierten 1979 in der DDR ganz oben: eine gute Partnerschaft/Ehe, eine gemütliche Wohnung, eigene Kinder, möglichst viel freie Zeit für das Privatleben sowie der Zusammenhalt in der eigenen Familie. Weniger wichtig waren berufliche Karriere, Auto, Anschaffungen und Reisen. Sie landeten auf mittleren Plätzen. Nur eine Minderheit von 17 Prozent hielt politische Aktivität und den Einsatz »in der Freizeit für die Gemeinschaft« für besonders wichtig Bis Mitte der 80er Jahre änderte sich an diesem Ranking nichts. Nur der Wunsch, »kritisch äußern, wenn einem was nicht passt«, schloss zur Spitzengruppe auf.
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