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Wassermusik in der Wüste

Tunesien: Techno, Star Wars, Design-Hotels und ein noch unerfüllter Traum

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 7 Min.

Eben beim Gespräch unten an der Treppe zur Bühne noch zu jedem Scherz aufgelegt, wirkt DJ Deena Abdelwahed kurz danach oben, als sie sich hinter der riesigen Mischpultmaschinerie die Kopfhörer überstülpt, hoch konzentriert und entrückt. »DJ zu sein, ist für mich zwar ein Riesenglück, aber eben nicht nur ein Gag«, hatte die 26-jährige Tunesierin dem Reporter an der Treppe gesagt. »Ich will mit meiner Musik etwas vermitteln - Dir und der Welt.« Was? »Etwas, dass Euch glücklich macht, vielleicht etwas über Gemeinsamkeit und Toleranz, natürlich auch über Liebe.«

Sie beginnt ihren Auftritt mit »Klebb«, eine für die Techno- und Houseszene sehr kurze Nummer, die jedoch sofort in die Beine der Tausenden Fans im weiten Rund ging, präziser: im Rund der Dünen, nahe des südwesttunesischen Städtchens Nefta. Deena Abdelwahed war nämlich eine der DJs beim Dunes Electroniques Festival. Das tanzte am vergangenen Wochenende in der Sahara ab. Zum zweiten Mal nach 2014, und es soll weiterhin alljährlich stattfinden.

»Darüber sind sich alle Beteiligten eigentlich generell einig«, zeigt sich Festivalmacher Patrick Elargui (43) überzeugt. Also sowohl die zahlreich angereisten internationalen DJs, als auch Festivalschirmherr Jack Lang, der Präsident des Institut du Monde Arabe. Auch die Hoteliers im Oasenrund mit der Regionalhauptstadt Tozeur am riesigen Salzsee Chott El Djerid und auch Tunesiens Tourismusministerin Salma Elloumi Rekik (57).

Ihnen allen wird übrigens gerade das 2015er Festival wegen eines für die Gegend geradezu sensationellen Ereignisses für immer in Erinnerung bleiben. Es hat nämlich drei (!) Tage lang geregnet: also Wassermusik in der Wüste. Ab Mitternacht tanzte man sich dann immer unter den Dächern der Clubs zwischen Nefta und Tozeur trocken. Zwischendurch hatten sich die genervten Veranstalter übrigens auch an ganz exponierter Stelle nach der Wetterprognose erkundigt. Nämlich beim einflussreichsten regionalen Marabout, einer Art islamischer »Heiliger« der mystischen (von Islamfundamentalisten übrigens angefeindeten) Sufismustradition. Er hatte Sonne versprochen, offenbar jedoch vergessen hinzuzufügen, ab wann...

Tunesien besitzt traditionell eine reiche Kulturszene. Größere Festivals und Ausstellungen, Theatertreffen, Tanzworkshops oder Literaturtreffen gibt es hier am nördlichsten Zipfel Afrikas jährlich Hunderte. Doch bislang vor allem in der Hauptstadt Tunis und Umgebung sowie an der langen östlichen Mittelmeerküste bis runter zur Insel Djerba. Nicht zuletzt deshalb spielt sich dort auch weitgehend der Tourismus ab. Mit ihm, nach der Landwirtschaft national an zweiter Stelle rangierend, werden rund zehn Prozent des tunesischen Bruttoinlandprodukts realisiert.

Wo die Touristen hinkommen, ging und geht es den Tunesiern vergleichsweise gut. Idee und Absicht, sie auch über mehr als eine Tagestour von der Küste nach Westen, also in die Wüste zu ziehen, sind deshalb weder überraschend noch neu. Ähnlich wie es gerade Tourismusministerin Salma Elloumi Rekik, seit drei Wochen im Amt, sagt, hatte es dem Reporter auch schon einer ihrer Vorgänger, Tijani Haddat, vor zehn Jahren in den Block diktiert. Dass diese Absicht bislang nicht so richtig umgesetzt werden konnte, hat zum einen äußere konjunkturelle, seit 2011, also mit dem »arabischen Frühling«, vor allem auch innere strukturelle Ursachen. Nun aber, so die Ministerin, habe »eine zum ersten Mal demokratisch gewählte tunesische Regierung eine Legislaturperiode lang Zeit, diese Absicht auch zu verwirklichen.« Sie betont dabei nachdrücklich die Wechselwirkung zwischen Wirtschaft und Lebensniveau einerseits und Ruhe und Sicherheit im Land andererseits.

Apropos Sicherheit. Übers Dunes Elektroniques Festival donnerten die Bässe aus den Lautsprechern, aber auch Armeehubschrauber. Auf den Dünen ringsum wachten mit Sturmgewehren bewaffnete Nationalgardisten. Inmitten der Fans waren Zivilpolizisten auszumachen, denen, wenn sie beim Mittanzen die Hände zünftig gen Himmel streckten, am unteren Jackenrand ein Stückchen Revolverholster hervorlugte. Unter demonstrativer Beobachtung von Polizei und Militär lagen ebenso die Kreuzungen der Zufahrtsstraßen.

Das ist in Tunesien auch an anderen Straßen quer durchs Land nicht anders. Die Lage im südlichen Libyen, aber auch an der westlichen Grenze zu Algerien zwinge zu solcher Prävention, sagt Ministerin Salma Elloumi Rekik. Und sie äußert Verständnis für die derzeit einschränkenden Reisehinweise des Auswärtigen Amtes für deutsche Touristen. Um gleichzeitig zu versichern, dass die Sicherheitslage diesseits der angegebenen Linien »garantiert wasserdicht« sei.

Für die Tunesier selbst sind überall wachsame Augen und Ohren in der Öffentlichkeit nichts Neues. Unter Präsident Ben Ali waren die ab 1987 auf alle möglichen Regierungsgegner, vor allem aber auf - seien es noch so liberale - inländische Islamisten gerichtet gewesen. Es gab zwar schon damals ein für die Region einzigartiges Frauenrecht im Land, aber selbst Mitglieder und Anhänger der legalen Islampartei Ennahda waren zu Tausenden eingesperrt worden. Doch so lange der an Militärakademien der USA und Frankreichs geschulte Ben Ali die Wirtschaft für ausländische Konzerne öffnete und das Land politisch »stabil« hielt, hatte das im Westen offiziell kaum jemanden gekümmert. Heute nun sind zwar Wahlen, Rede und Presse frei im Land, sind Recht und Gesetz per neuer Verfassung für jeden Bürger verbrieft. Doch die militant-islamistische Bedrohung - diesmal eben vor allem aus dem angrenzenden Ausland - ist wohl so real wie nie zuvor.

»Die wirksamste Kraft gegen Ex᠆tremismus bilden auf Dauer frei denkende, kluge Menschen, die Arbeit haben und offen für Neues sind«, zeigt sich Arbi Soualhi (34) sicher, der als Fotograf und Kameramann sein Geld verdient. Er ist zudem einer der Aktivisten des tunesischen Star-Wars-Fanclubs. In den 70er Jahren waren viele Filmszenen schon des ersten Streifens dieses bis 2005 auf sechs Teile angewachsenen intergalaktischen Epos' vom Kampf zwischen Gut und Böse in Tunesien gedreht worden. Das außerirdisch anmutende Naturereignis Wüste hatte die Macher genauso hierher gelotst wie die Troglodyten, die in die Wüste eingegrabenen Wohnhöhlen der Berber, die szenisch wie maßgeschneidert für das Drehbuch waren.

Die Sidi-Bouhlel-Schlucht, nahe des gleichnamigen Ortes etwa 40 Kilometer nordöstlich von Nefta, war auch einer der Drehorte. Arbi Soualhi klettert sie mit uns hoch und repetiert an jeder Felsennase die Szeneneinstellung des Originals mit dem jungen Protagonisten Luke Skywalker und dem Eremiten Ben Kenobi, von dem Luke sein berühmtes Lichtschwert bekam. Arbi und seine Freunde recherchieren das alles als Star-Wars-Fans. Aber sie hoffen gleichzeitig, mit den entsprechenden Dokumentationen noch viele aus der zu Millionen zählenden internationalen Star-Wars-Gefolgschaft an die Originaldrehorte in der Wüste zu holen. »Besonders jetzt, wo doch Ende 2015 Episode VII in die Kinos kommen soll«, sagt Arbi Soualhi.

Sicher wird das für den Tourismus Tunesiens nur einen winzigen Bruchteil der über 20 Milliarden eingespielten Dollars bringen, die die Star-Wars-Filme laut Forbes Magazine (2005) »zum bisher weltweit wirtschaftlich erfolgreichsten Filmprojekt« gemacht haben. Doch solche Initiativen, wie die des Star-Wars-Fanclubs, die auf Tunesien international aufmerksam machen und Gäste mehr als früher fürs Inland interessieren, gibt es zunehmend. Allein in den letzten vier Jahren ist die Zahl sogenannter Designhotels von fünf auf 150 gewachsen: kleine landestypische Häuser, direkt in Ortschaften oder separat an Schluchten und Oasenrändern gelegen.

Auch Isabelle Plachow (48), bereits vor langer Zeit zugezogen, hat mit ihrem (Architekten-)Mann im Dorf Erriadh auf Djerba das »Dar Bibine« klein und fein mit fünf verschachtelten Zimmern, Terrassen, Plätscherbrunnen und vielem mehr modernisiert. Was ihre Entscheidung, hier sesshaft zu werden, maßgeblich beeinflusst hat? »Uns gefällt vor allem, dass hier in Erriadh seit grauen Vorzeiten Muslime und Juden friedlich Wand an Wand leben«, sagt sie. Die Plachows haben übrigens jüngst zu dieser Art von Nachbarschaft einen ganz aktuellen Akzent hinzugefügt. Sie organisierten im Dorf ein Pleinair für Graffitikünstler, die dieses Zusammenleben an Dutzenden Häuserwänden dokumentierten. »Das Projekt lebt weiter«, freut sich Isabell Plachow über neuerliche Anfragen von Künstlern aus verschiedenen Ländern. Die haben für die Tage, in denen sie ihre Pieces sprayen, im »Dar Bibine« Kost und Logis frei.

Dora Bouchoucha (55), einflussreiche tunesische Filmproduzentin, wurde kürzlich in einem Interview gefragt, was sie ihrem Land wünsche. Sie träume davon, dass es eines Tages sauberer, toleranter und ambitionierter sein werde. Träume Nummer zwei und drei nehmen bereits spürbar erste Konturen an. An Traum Nummer eins muss jedoch im Alltag ganz augenscheinlich noch fleißig gearbeitet werden. Auch für die neue Tourismusministerin Salma Elloumi Rekik steht »Dreck weg im Land!« weit oben auf der Prioritätenliste. Das war übrigens, allerdings ohne nachhaltige Wirkung, auch bei ihren vier Kurzzeitvorgängern im Amt seit 2011 so. Doch im Gegensatz zu denen hätte sie nun nach den jüngsten Wahlen tatsächlich fünf Jahre Zeit, diesen Punkt abzuhaken.

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