Ins Rollen gekommen
Tom Strohschneider über das Ende der Ouvertüre in Sachen Griechenland und europäischer Krisenpolitik - und warum die SYRIZA-Forderung nach einem Schuldenschnitt jetzt Unterstützung braucht
Jetzt geht die Debatte über SYRIZA, Griechenland und die europäische Krisenpolitik los. Wie bitte: Jetzt erst? Genau. Auch wenn es nach Wochen des politischen Hin und Her, der Beschimpfungen und Sondertreffen etwas überraschend klingen mag, aber: Was bisher geschah – mal als »erster Schritt« gelobt, mal als »schlechter Kompromiss« kritisiert – wird im späteren Rückblick allenfalls noch als Ouvertüre erinnert werden, also als jene kurze Phase, in der die Dinge ins Rollen kamen.
Nun rollen sie. Griechenland wird in einigen Monaten wieder Geld brauchen. Das ist weder ein Widerspruch zu den soeben getroffenen Vereinbarungen noch eine Überraschung – sondern das leider zwangsläufige Ergebnis der bisherigen »Rettungspolitik«. Die hat auf dem Rücken Hunderttausender ein Land ausgezehrt und ihm derart Fesseln angelegt, dass ein Ausweg aus dem Teufelskreis nicht mehr möglich war: Schulden um der Bedienung von Schulden Willen ohne Aussicht auf einen nachhaltigen Wachstumsschub.
Daran wird SYRIZA in vier Monaten nicht viel ändern können, weshalb es konsequent ist, das - in den vergangenen Wochen aus taktischen Gründen vernachlässigte - Ziel eines Schuldenerlasses wieder ganz nach vorne auf die Bühne der politischen Auseinandersetzung zu stellen. Wie richtig es ist, lässt sich auch an den vehementen Abwehrreflexen ablesen, die aus der Bundesregierung schon jetzt zu hören sind: Getroffene Hunde bellen nun einmal.
Man darf zurückbellen: Ein Schuldenschnitt für Griechenland ist so sinnvoll, wie er für Deutschland tragbar wäre – der abzuschreibende Betrag wäre geringer als jener, mit dem hierzulande die Kosten der Krise vergesellschaftet wurden – vulgo: als die der deutschen Bankenrettung. Es gibt für einen Schuldenerlass verschiedene Modelle; welches davon zum Zuge kommen könnte, ist eine Frage des politischen Willens. Dieser wird sich aber kaum von allein einstellen, zumal sowohl in Parteien wie der Gesellschaft nach Jahren des »Wir haben den Griechen schon genug geholfen«-Trommelfeuers eine Mehrheit die ökonomischen Realitäten nicht zur Kenntnis nehmen will – und lieber dem neoliberalen Schein vertraut.
Wenn es für Griechenland eine Zukunft geben soll, in der demokratisch gewählte Regierungen eine Politik machen, die annäherungsweise jenen sozialen, ökonomischen und freiheitlichen Ansprüchen genügt, die in Berlin bei jeder Gelegenheit von den politischen Kanzeln heruntergebetet werden, dann ist ein Schuldenschnitt unumgänglich. Und weil Griechenland keineswegs allein steht mit diesem Problem, wäre eine europäische Schuldenkonferenz sogar der noch bessere Weg. Dafür zu streiten, wird man SYRIZA nicht allein aufbürden wollen.
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