Betroffenheit auf Zeit

Markus Drescher über die kurzlebige Solidarität mit Juden in Deutschland

Viele Juden fühlen sich in Deutschland nicht mehr sicher. Berlins Bürgermeister Michael Müller (SPD) nimmt »das nicht so wahr«. Und wie kommt er zu dieser Einschätzung, fragt sich Markus Drescher in seinem Kommentar.

Der Zentralrat der Juden erkennt ihn, der Zentralrat der Muslime auch: Antisemitismus, der für Juden in Deutschland wieder stärker zur konkreten physischen Gefahr geworden ist. »Ich nehme das nicht so wahr«, sagte hingegen der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), in einem Interview mit Blick auf die Aussage des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, dass es in der Hauptstadt Viertel gibt, in denen zum Beispiel das Tragen der Kippa gefährlich werden kann. Aha. Und wie kommt Müller zu dieser Einschätzung? Ist er betroffen? Nein. Aber die Aussage ist ein Beispiel dafür, warum es nichts wird mit wirkungsvoller Bekämpfung des Antisemitismus (wie auch der Islamfeindlichkeit) in Deutschland.

Passiert etwas, wird auf der einen Seite Solidarität beteuert und versichert, dass man alles tun werde, damit so etwas nicht noch einmal geschieht. Gleichzeitig gibt es Relativierungen, Leugnen und Kleinreden. Beides hält kurz an, wird mit dem Label Debatte versehen und interessiert ein paar Tage später niemanden mehr. Es herrscht wieder Business as usual und an dem in weiten Teilen der Bevölkerung fest verankerten Hass hat sich nichts geändert. Und dann sind wieder alle überrascht, wenn was passiert. Beteuern ihre Solidarität ... Eine der Konstanten in allen Phasen: der Polizeischutz für jüdische Einrichtungen. Zu dauerhafter Solidarität gehört mehr.

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