Spitzelei in einem »industriellen Ausmaß«
Mazedoniens Abhörskandal geht an Premier Gruevski als Urheber und der EU bislang ohne Folgen vorbei
Seit Wochen lanciert Mazedoniens Opposition einen brisanten Telefonmitschnitt nach dem anderen. Ebenso lange übt sich der sonst so wortgewaltige Premier Nikola Gruevski in der Kunst der wortkargen Dementis. Die entlarvenden Abhöraktionen seien von »einem ausländischen Geheimdienst« angeordnet worden, so das Dauercredo des nationalpopulistischen Regierungschefs: Der sozialdemokratische Oppositionschef Zoran Zaev habe einen »Staatsstreich« zur Machtergreifung vorbereitet.
Als »Bomben« hatte Zaev die verstörenden Mitschnitte schon Monate vor deren Veröffentlichung angekündigt. Tatsächlich bieten die von ihm seit Anfang Februar präsentierten Aufzeichnungen einen erschütternden Einblick in die Abgründe von Machtmissbrauch und Willkürherrschaft in enger Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst und der Justiz.
Über 20 000 Personen in dem Zwei-Millionen-Staat sollen in den letzten Jahren gezielt abgehört worden zu sein. Nicht nur kritische Journalisten und Oppositionelle, sondern auch Minister, Unternehmer und Diplomaten wurden offenbar zum Ziel der Schnüffelei von Mazedoniens Sicherheitsapparat. Während die regierungsnahe Presse dem Oppositionschef enge Kontakte zum griechischen Geheimdienst unterstellt, will Zaev die Mitschnitte von »Patrioten« des heimischen Geheimdiensts erhalten haben.
Der seit 2006 amtierende Premier habe »aus Mazedonien einen Albtraum gemacht«, so Erwan Fouere, der bis 2011 amtierende EU-Sonderbeauftragte in Mazedonien. Eine Regierung, die das eigene Volk und selbst die eigene Partei einer Spitzeloperation von »derart industriellem Ausmaß« unterziehe, habe jegliche Glaubwürdigkeit und Legitimität verloren.
Doch noch sitzt Gruevski dank der von ihm kontrollierten Justiz und Medien sicher im Sattel. Es gibt Mitschnitte von Telefonaten, in denen Geheimdienstchef Sasa Mijalkov die Chefredakteure regierungsnaher Medien für die Berichterstattung über die bevorstehende Verhaftung eines missliebigen Parteichefs instruiert. Auch eine Anordnung des Premiers zur Zerstörung des Wohnkomplexes eines zur Opposition übergelaufenen Ex-Gefährten.
Bis auf eine pflichtschuldige und diplomatisch zurückhaltende Äußerung ihrer »Besorgnis« reagiert die Europäische Union bislang erstaunlich gleichmütig auf die totalitären Verwerfungen bei ihrem Beitrittskandidaten.
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