Ein Kampf um Europa
Tom Strohschneider über den deutschen Krisenkurs gegen Griechenland - und den politischen Kern des »Schuldenstreits«
»Athen in Zahlungsnot - Tsipras provoziert Draghi«, »Griechenland geht das Geld aus - Milliarden von Deutschland gefordert«. In den Schlagzeilen der vergangenen Stunden sieht die Welt so aus, wie sie sich im Berliner Finanzministerium gedacht wird: ein unbotmäßiger Schuldner, der frech gegenüber der Gläubigerhand wird, die ihn füttert. Und dann will die SYRIZA-geführte Regierung auch noch mehr. Immer mehr. Dabei haben »wir Deutschen« doch »den Griechen« schon so viel geholfen.
Die Wahrheit ist, Griechenland geht das Geld aus. Dafür gibt es viele strukturelle Ursachen, die dem Land von einer korrupten Politik über Jahrzehnte aufgebürdet wurden.
Griechenland geht aber das Geld auch und vor allem deshalb aus, weil die europäischen Gläubiger ihm die Fesseln von »Hilfspaketen« umgelegt haben, die den Teufelskreis der Verschuldung nicht etwa durchbrochen haben, sondern vor allem für höhere Drehgeschwindigkeit sorgten. Kredite um der Rückzahlung von Krediten willen, und flankiert von Bedingungen, die in Griechenland ein Regime absichern sollen: Kürzungsdiktate, Privatisierungsforderungen, Deregulierungsauflagen.
Es gibt praktisch niemanden mehr, der das bisherige Schuldensystem ökonomisch als sinnvoll oder im Ansatz erfolgreich verteidigt. Die Ausnahme bilden jene, die hier nicht etwa »unsere Steuergelder« verteidigen, wie sie vorgeben, sondern das neoliberale Prinzip.
Wenn es Griechenland gelingt, aus der Umklammerung der Berliner Austeritätspolitik auszubrechen, ist das Projekt deutscher Hegemonie in der EU Gefahr - bisher abgesichert mit Exportüberschüssen, niedrigen Lohnkosten und der Drohung mit sozialem Abstieg (Hartz IV) zu Hause und einer europäisch verallgemeinerten Schuldenbremse.
Die SYRIZA-geführte Regierung probt den Aufstand gegen das Finanzeuropa, das vor allem in Deutschland gewollt wird. Sie macht dabei sicher nicht alles richtig - aber wie richtig sie dann eben doch liegt, lässt sich an den Reaktionen in Berlin und München erkennen.
Unlängst hat einer aus dem Chor der SYRIZA-Beschimpfer von den »sozialistischen Wohltaten« gesprochen, die keineswegs mit europäischen Krediten bezahlt werden dürften, mit »deutschem Steuerzahlergeld«. Das schließt einerseits an das rassistisch aufgeladene Bild vom »gierigen Griechen« an und soll zugleich einen an sozialen Normativen orientierten Politikwechsel denunzieren, der mit Sozialismus nicht besonders viel zu tun hat - aber mit dem Wunsch, europäischen Grundwerte für Menschen in Griechenland wieder in Kraft zu setzen.
Was ist das wem wert? Wir wissen nun, wie teuer die bisher geplanten Maßnahmen gegen die humanitäre Krise bis Jahresende seien würden: etwa 200 Millionen Euro. Ganze 360 Millionen Euro hat die bundeseigene Kreditanstalt dank der Zinsen eingenommen, die »Hilfs«-Kredite für Athen brachten. Oder weniger als ein Fünftel der Kosten für den Neubau des EZB-Hauptquartiers in Frankfurt.
Ein anderes Beispiel: der bisher nicht zurückgezahlte Zwangskredit, der Griechenland von den Nazibesatzern abgenötigt wurde. Was 1945 noch über 470 Millionen Reichsmark wert gewesen sein soll, will die Bundesregierung mit einer Zahlung von 115 Millionen D-Mark schon abgegolten haben. Sie nennt Reparationen »grundlos« und - pocht im selben Atemzug mit herrischer Geste darauf, dass Griechenland seine Forderungen erfüllt.
Eine Alternative zum deutschen Krisenkurs ist möglich. Das ist auch keine Frage, die sich auf die Einhaltung von Verträgen reduzieren ließe - Deutschland ist selbst ein Meister darin, europäische Regelwerke zu brechen, siehe Maastricht. Und Frankreich hat von der EU gerade erst große Zugeständnisse in Sachen Etatsanierung erfahren - weil der politische Wille dafür da ist.
Es ist also nicht der »Geist der Vereinbarungen« oder die »europäische Solidarität«, mit denen Griechenland vor allem aus Berlin konfrontiert wird. Sondern eine Sonderbehandlung, die nicht aus ökonomischer Rationalität sich speist, umso mehr aber aus dem politischen Motiv, das neoliberale Europa abzusichern.
Dass dies als allgemeines Interesse »der Deutschen« verkauft wird - und eine Mehrheit hierzulande dies auch glaubt, macht das Ringen um einen Kurswechsel so schwierig. Man wird nicht damit aufhören dürfen, den Kern der Auseinandersetzung freizulegen, die kein »Schuldenstreit« ist: Am Exempel Griechenland geht es um die Zukunft Europas - soll es eines der Menschen sein, oder eines des Kapitals. Wir hätten die Wahl.
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