Zwei Quellen des Reichtums

Eine ökologische Transformation kann nur eine sozial-ökologische sein, ob mit Blick auf eine Energiewende oder den «Konsum»

  • Mario Candeias
  • Lesedauer: 5 Min.

Sozial-ökologische Transformation – soziale Reproduktion: zwei Begriffe, die zwei unterschiedliche Herangehensweisen oder Blickrichtungen auf das gleiche Thema liefern: beide Fragen nach den Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Transformation, die aus einer linken, sozialistischen und feministischen Perspektive, die sowohl die ökologischen Notwendigkeiten wie die menschlichen Bedürfnisse (auch unter Gesichtspunkten von Geschlechtergerechtigkeit) berücksichtigt.

Beide setzen an einer Kritik der Ausbeutung der zwei Quellen des Reichtums an, der Erde und der Arbeit (sowohl der Produktions- wie Reproduktionsarbeit). Klar ist, eine ökologische Transformation kann nur eine sozial-ökologische sein, ob mit Blick auf eine Energiewende oder den «Konsum”. Ein Blick von Seiten der sozialen Reproduktion geht dabei von den Lebensperspektiven und alltäglichen Handlungsstrategien der Subjekte aus und stellt von dort aus systemische Fragen. In ihrem jüngsten Strategiepapier zur Parteientwicklung beschreiben Katja Kipping und Bernd Riexinger diese Verknüpfung als »strategischen Anker«.

Transformation stellt auch die Frage nach dem Umbau des Produktionsmodells: Wohin soll transformiert werden? Ganz wesentlich steht dabei der Umbau des Energiesystems im Zentrum. Auch hier spielt der Blick von Seiten der Einzelnen eine besondere Rolle: Wie wird die Energiewende durchgeführt, so dass aber alle ihren Strom bezahlen und mitentscheiden können?

Neben dem Energiesektor ist der Bereich der Reproduktion der zentrale eines sozialökologischen Umbaus: der Ausbau einer bedürfnisorientierten solidarischen »Care Economy«, d.h.: soziale Infrastrukturen öffentlicher Gesundheit und Pflege, Erziehung und Bildung, Forschung, Wohnen, Ernährung(ssouveränität) und Schutz der natürlichen Umwelten. Denn das sind zentrale Bedürfnisse, bei denen alle seit Jahren Mangel beklagen, um die vermehrt Kämpfe ausgetragen werden. Und es sind die einzigen Bereiche, in denen die Beschäftigung in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Schweden oder den USA wächst.

Wobei sich sofort die Frage nach den (Arbeits)Bedingungen und der Organisierung stellt. Und auch in den neuen kapitalistischen Zentren wie China, Indien oder Brasilien handelt es sich dabei um rasch wachsende Sektoren – und es ist zentral, sie öffentlich zu halten und nicht dem Markt preiszugeben. Vor allem im globalen Süden hieße das: Konzentration auf die grundlegenden Bedürfnisse der ländlichen und urbanen Armen, insbesondere von Frauen, die oft einen Großteil der Bürde sozial ungerechter Lebensbedingungen tragen. Es sind übrigens jene Bereiche gesellschaftlich notwendiger Arbeit, die am wenigsten umweltschädlich sind. Die Orientierung auf Reproduktion der Einzelnen und der Gesellschaft stärkt die Orientierung auf sozial-ökologischen Umbau.

Die Organisationsweise kapitalistischer Produktionsverhältnisse im globalen Rahmen, aufbauend auf fossilistischen Ressourcenpolitiken und Verbrauchsmustern industriegesellschaftlicher Prägung, führen zu gegenüber Arbeitskraft und Umwelt ausbeuterischen Strukturen, die bekanntlich die ökologischen Grenzen von Umwelt und Klima überschreiten. Die auf Rohstoffextraktivismus beruhenden Produktionsweisen von Gütern wie Autos (Agrosprit), High-Tech-Geräten, aber auch der Lebensmittelproduktion (Fleisch) und Vernutzung von Wasser für industrielle Produktion engen den Lebensraum von Menschen, die diesen Bedingungen ausgesetzt sind, aber auch von Lebensperspektiven nächster Generationen erkennbar ein. – Auf der anderen Seite der Produktionsverhältnisse, die in ihrer kapitalistischen Organisationsweise un- oder unterbezahlte Arbeit der Reproduktion (des Lebens, der Gesundheit, von Familien, Arbeitskraft, sozialen Lebenszusammenhängen) voraussetzen, sind die Verhältnisse der sozialen und gesellschaftlichen Reproduktion ebenfalls ausbeuterischen, zunehmend in der Logik von Finanzialisierung gedachten Strategien ausgesetzt: Natur wird wie auch menschliche Ressource und Arbeitskraft auf Gewinn und Verwertung hin ausgebeutet.

Die Folgen von Arbeitsverdichtung (Stress, physische und psychische Grenzen bzw. Erkrankungen, burn out etc.) bei zeitgleicher Privatisierung bzw. dem Abbau öffentlicher Dienstleistungen (Gesundheit, Pflege, Betreuung, Wasser etc.) führen zu erhöhtem Druck auf Einzelne und Lebenszusammenhänge sozialer Reproduktion. Mithin sind Fragen nach den gesellschaftlichen Naturverhältnissen ebenso wichtig wie die nach Geschlechterverhältnissen und gesellschaftlichen Arbeitsteilungen. Die Folgen einer auf kapitalistische Produktionserfordernisse zugerichteten Lebensweise erfordern ein Umdenken in vielen Richtungen. Infolgedessen müssen z.B. Formen der Mobilität entwickelt bzw. priorisiert werden, die nicht umweltschädigend sind und gleichzeitig sinnvoll Arbeit und Leben verbindbar machen, die Fixierung auf Automobilität zugunsten anderer Verkehrssysteme auflösen; städtisches Leben auch ökologisch weiter entwickeln, etwa ein entgeltfreier öffentlicher Nahverkehr als Einstiegsprojekt.

Maßstab für gesellschaftliche Transformation, um die es in beiden wie auch in der Verbindung beider Herangehensweisen geht, ist eine Kritik am unbegrenzten Wachstumsimperativ der gegenwärtigen neoliberalen kapitalistischen Formation. Die Grenzen des Rohstoffnachschubs (Kohle, Öl) wie aber auch der menschlichen Kraft und Gesundheit müssen in nach menschlichem Bedarf und Bedürfnissen gerichtete neue Orientierungen gesellschaftlicher Organisation, Wirtschaftstätigkeit und Reproduktion übergehen.

Nicht eine »Begrünung des Kapitalismus« (Green Economy), sondern dessen sozialökologische und geschlechtergerechte Transformation sind Ziel und Orientierung in allen Vorhaben der KAV und der gesellschaftspolitischen Ausstrahlung, die sie in der Arbeit der RLS und darüber hinaus vermitteln soll. Dies schließt die Kritik der Wachstumskritik ein, sofern sie kapitalistische Herrschafts-, Macht- und Eigentumsverhältnisse ausblendet oder gerechte Übergänge, die unterschiedliche Interessen, Arbeits- und Lebensperspektiven (etwa von Beschäftigten oder Geringverdienern) berücksichtigen, vernachlässigen.

Kriterien für einen transformatorischen Charakter könnten sein: Inwiefern trägt ein Projekt bei

  • a) zum Abbau der CO2-Emmissionen,
  • b) zur Reduzierung von Armut und »Vulnerabilität« (Verletzlichkeit/Armutsgefährdung),
  • c) zur Reduzierung von Einkommens- und Vermögensungleichheiten,
  • d) zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit, unter besonderer Berücksichtigung von Jugendarbeitslosigkeit,
  • e) zum Ausbau »Guter Arbeit« jenseits prekärer Verhältnisse,
  • f) zum (kostenfreier) Zugang zu (Erstaus)Bildung, Gesundheits- und Pflegeversorgung, Kindergartenplätzen, ÖPNV, Energie, Internet etc.,
  • g) zur Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten und individueller Handlungsfähigkeit in einer »wirklichen Demokratie«?

Es geht um eine andere Herangehensweise für einen sozial-ökologischen Umbau und ein populares Projekt jenseits prekärer Arbeit und prekären Lebens, hier und in Europa und darüber hinaus.

Mario Candeias ist Leiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sein Text erschien zuerst hier.

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