Lehrerstreik mit Tücken
Bei einem Ausstand wissen Eltern und Schüler oft nicht, wie sie sich verhalten sollen
Wenn Beschäftigte streiken, sind meist auch Menschen davon betroffen, die nicht in diesen Branchen arbeiten, aber auf sie angewiesen sind. Das zeigt das Chaos, das im Berliner S-Bahn-Verkehr ausbrach, als die Gewerkschaft der Lokomotivführer ihre Mitglieder Anfang 2011 zum Arbeitskampf aufrief. Nun ist es der Sinn eines jeden Streiks, Druck auf Arbeitgeber oder Politik zu erzeugen; Auswirkungen auf den jeweiligen Betrieb, eine Branche oder gar die Gesamtwirtschaft sind also durchaus gewollt.
Derzeit streiken die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes - Feuerwehrleute, Klinikangestellte und Erzieher. Allein am Montag legten rund 5000 Angestellte in Hamburg die Arbeit nieder, darunter 400 Lehrer. Sie flankierten damit die am selben Tag in Potsdam gestartete dritte Verhandlungsrunde der Gewerkschaft ver.di mit der Tarifgemeinschaft der Länder. Vergangene Woche waren insgesamt rund 100 000 Beschäftigte in den Warnstreik getreten, ein großer Teil davon Lehrer.
S-Bahn-Fahrgäste sind in diesem Fall zwar weniger betroffen, dafür aber viele Schüler. Das führt in der Praxis zu Problemen: In der Bundesrepublik herrscht eine allgemeine Schulpflicht, die zwar aufgrund der Bildungshoheit der Länder unterschiedlich geregelt ist, jedoch mindestens neun Jahre beträgt. Zudem haben die Schulen eine Aufsichtspflicht, in Berlin etwa festgelegt in den »Ausführungsvorschriften über die Wahrnehmung der Aufsichtspflicht im schulischen Bereich und die Verkehrssicherungspflicht sowie die Haftung«.
Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat denn auch klare Vorgaben für die Schulen erstellt: Sie müssten »Regelungen treffen, die den Ausfall von Unterricht und Betreuung auf ein unvermeidbares Maß reduzieren«. Vorrangig gelte der Grundsatz, dass die Schulen aufsichtspflichtig seien, so eine Sprecherin der Behörde gegenüber »nd«. Sie müssten in jedem Fall die Betreuung der Kinder sichern. Nicht erlaubt sei es jedoch, die - aufgrund ihres gesellschaftlichen Status vom Streikrecht ausgeschlossenen - verbeamteten Lehrer zu Vertretungsstunden zu verpflichten. »Beamte dürfen nicht als Streikbrecher eingesetzt werden«, so die Sprecherin. Das verbietet ein Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1993. Zur Beaufsichtigung können Beamte allerdings angewiesen werden.
Direkte Solidarität mit ihren angestellten (und schlechter bezahlten) Kollegen ist da schwierig - auch wenn erkämpfte Lohnerhöhungen am Ende ebenso den Beamten zugute kommen. Laut Artikel 33 des Grundgesetzes muss sich die Besoldung der Beamten an den Tarifabschlüssen orientieren. Das sei allerdings besonders im Jahr 2013 nicht ausreichend passiert, bemängelte kürzlich Klaus Dauderstädt, Chef des Deutschen Beamtenbundes. Damals hatten lediglich Hamburg und Bayern den Tarifabschluss von ver.di auch auf ihre Beamten übertragen.
Schülern und Eltern, die sich solidarisch mit den Lehrern zeigen wollen, steht dagegen nicht das Beamtenrecht, sondern die Schulpflicht im Wege. Ulf Rödde, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sagte gegenüber »nd«, die GEW dürfe die Schüler nicht zum Streik aufrufen, denn diese seien keine Mitglieder. Ein Streik könne zudem keine Entschuldigung sein, die Kinder zu Hause zu lassen.
Praktisch entscheiden sich dennoch viele Eltern, die nicht dringend auf die Betreuung durch die Schulen angewiesen sind, die Streikenden zu unterstützen - auch auf (nichtoffizielle) Bitten der Lehrer, die ansonsten mit einem stark reduzierten Kollegium die gleiche Kinderzahl beaufsichtigen müssten. In Berlin etwa befindet sich fast die Hälfte der Lehrer in einem Angestelltenverhältnis, in manchen ostdeutschen Bundesländern ist es sogar die Mehrheit. In Westdeutschland dagegen sind die meisten Lehrer verbeamtet.
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