Werbung

Nur weiter so, Griechenland!

Stephan Lessenich erklärt, wie man dem europäischen Krisenregime begegnen muss

  • Stephan Lessenich
  • Lesedauer: 4 Min.

»Naiv«, »anmaßend«, »verrückt«: So lauten noch die freundlichsten politischen Invektiven gegen die neue griechische Regierung, seit diese sich anschickt, die europäische Krisenpolitik aufzumischen. Es ist ja so: Man hatte sich schon auf ihr ungehindertes Weiterprozessieren eingestellt. Man hatte sich gewöhnt an das Mantra vom griechischen »über die Verhältnisse leben« und von der notwendigen Strafe der Austerität, an die Zwangsdekrete der deutsch-europäischen Politik und an die Berichte davon, dass das griechische Gesundheitswesen nur noch dank zivilgesellschaftlicher Notsolidarität funktioniert und die hellenische Selbstmordrate in die Höhe geschnellt ist. Wen kümmert’s? Wer nicht hören will, muss fühlen, pacta sunt servanda, ohne Fleiß kein Preis: So ist es halt. Und bei uns brummt die Wirtschaft doch (solange wir auch nach wie vor maßhalten und für ein gutes Investitionsklima sorgen). Sollen die da unten sich doch mal was von uns abschauen.

Oder abschäublen. Der Mann weiß, wie es geht: Der Architekt des Euro, der Vater der Währungsunion, der Herr über Deutschlands und damit gleich auch mal Europas Finanzen will sich sein hart erarbeitetes marktpolitisches Lebenswerk jetzt natürlich nicht von dahergelaufenen lebemännischen Salonmarxisten zerstören lassen. Also zieht er andere Saiten auf - wer hart zu sich selbst ist, darf das auch gegenüber anderen sein, das nennt man wohl auf protestantisch gelebte Reziprozität. Da könnte ja jede demokratisch gewählte Regierung daherkommen, um den von einer geprügelten Bevölkerung geäußerten Wunsch zu repräsentieren, nicht weiter für das kriminelle Handeln wirtschaftlicher und politischer Eliten bzw. für die irrationale Rationalität der europäischen Wirtschafts- und Währungsregion mit dem Verlust ihrer Lebenschancen haftbar gemacht zu werden. Nein, wenn es um die ehernen Regeln der Marktökonomie geht, dann kennt das System Schäuble, wie einst schon die von Pierre Bourdieu kritisierte »pensée Tietmeyer«, kein Pardon: Was sind die Existenznöte der Leute gegen die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen »Volks«-Wirtschaften? »Peanuts«, wie der große deutsche Bankier Hilmar Kopper dies in zeitlosem Neudeutsch zu formulieren wusste.

Neudeutsch bzw. in badischem Englisch hat jüngst auch Wolfgang Schäuble dem Marschbefehl gegen die ungeheuerlichen sozialen Anliegen der Griechen Ausdruck gegeben: »Am 28., 24 Uhr, isch over« - jede Ähnlichkeit mit historischen Rückschussberichten rein zufällig. Das Maß war jedenfalls voll - kurz darauf hat Schäuble den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis wissen lassen, dass dieser das Vertrauen der deutschen Regierung verloren habe. Für die kolportierte Antwort muss man den »Überzeugungstäter« (»Die Zeit«) einfach lieben: »Ich habe ihm gesagt, dass ich es niemals genossen habe« - im Übrigen sei für ihn das Vertrauen der griechischen Wähler/innen maßgeblich.

Gut möglich, dass der alte Demokrat jedoch daheim entmachtet wird - wie man hört, könnte Varoufakis das finanzministerielle Schicksal Oskar Lafontaines ereilen: Man legt sich nicht ungestraft mit dem haushalterisch-industriellen Komplex an. Und dennoch, selbst wenn es so wäre: Die neue griechische Regierung hat schon jetzt all denen, die es noch nicht sehen wollten, aufgezeigt, wie autoritär das Austeritätsregime organisiert ist, wie radikal politökonomisch Andershandelnde nicht nur durch die ach so anonymen »Märkte«, sondern durch eine ganz lebensechte Politik abgestraft werden. »Vielleicht«, so Schäuble dieser Tage in altbewährter Volkscharakterdiktion, sei ja »auch die Art, wie man in Griechenland Probleme behandelt«, nicht die feine deutsche. Nun, sagen wir: hoffentlich. Dem Problem angemessen ist aber eher die Überlegung, ob nicht die machtvollen Milieus in Deutschland das »Problem«, um das es eigentlich geht, schlicht anders konstruieren als eine griechische Regierung, die sich auf ihr politisches Mandat vielleicht etwas einbilden, aber offenkundig nichts davon kaufen kann.

Naiv gemessen an der »ökonomischen Vernunft«, anmaßend gegenüber den herrschenden »Institutionen«, verrückt im Lichte politisch konstruierter »Alternativlosigkeit«: Genau so muss man dem deutsch-europäischen Krisenregime begegnen. In diesem Sinne: Nur weiter so, Griechenland!

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.