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Der Datengier gewidmet
Alexander Sander über die Bemühungen der EU-Mitgliedsstaaten, den europäischen Datenschutz aufzuweichen
Seit 2012 streitet man auf europäischer Ebene über die Datenschutzreform, um die bestehende Regulierung aus dem Jahr 1995 endlich fit für die digitale Gesellschaft zu machen. Doch was als ambitioniertes Projekt begann, droht in einem Desaster für Verbraucherinnen und Verbraucher zu enden. Unternehmen, die mit unseren Daten Millionen scheffeln, torpedieren seit Jahren durch intensive Lobbybemühungen den Gesetzgebungsprozess - offensichtlich mit Erfolg. Denn nun setzen sich die Mitgliedsstaaten der EU, allen voran Deutschland, dafür ein, den vom EU-Parlament erzielten Kompromiss für mehr Datenschutz bis zur Unkenntlichkeit aufzuweichen.
Täglich produzieren wir Unmengen von Daten, die viel über unser Privatleben aussagen - welche Seiten wir im Internet besuchen, wo wir uns gerade befinden oder mit wem wir kommunizieren. Oft sind jedoch nur sehr wenige dieser Informationen vonnöten, damit Unternehmen einen bestimmten Dienst anbieten können. Die Datengier von Unternehmen aber ist prinzipiell unbegrenzt, denn mit jeder zusätzlichen Information lässt sich zusätzliches Geld verdienen. Immer mehr Daten werden gespeichert und ausgewertet, ohne dass Verbraucherinnen und Verbraucher dies wissen und wollen. Dieser Praxis sollte durch die Reform ein Ende bereitet werden. Daten sollten nur zu ganz bestimmten, vorher festgelegten Zwecken erhoben und verarbeitet werden dürfen. An diesem Prinzip der »Zweckbindung« der Daten - etwa dass eine Adresse nur zum Versand eines Produktes genutzt werden darf, nicht aber für Werbung - wird nun gerüttelt.
Nach Ansicht des Rates der Europäischen Union soll die Zweckbindung wegfallen, wenn die Unternehmen oder sogar Drittanbieter ein »berechtigtes Interesse« an der Verarbeitung der Daten haben und dieses gewichtiger ist als die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Geht die Abwägung zugunsten der Unternehmensinteressen aus, spielt die Zweckbindung keine Rolle mehr. Obendrein sind es stets die Datenverarbeiter selbst, die diese Abwägung vornehmen. Faktisch wie juristisch fallen damit die Hürden für eine uferlose Verwendung der Kundendaten. Ohne dass es der Zustimmung von Verbraucherinnen und Verbrauchern oder einer Zweckbestimmung bedarf, können Unternehmen die Daten nach Belieben verarbeiten und weitergeben. Somit gehen die Informationen auch an Firmen, welche die Betroffenen weder kennen, noch deren Datenverarbeitungen sie zugestimmt haben.
Sollte die Regulierung in dieser Form verabschiedet werden, können wir künftig kaum mehr nachvollziehen, wer unsere Daten zu welchen Zwecken verarbeitet. Damit löst sich ein Grundkonzept der Datenschutzreform in Luft auf. Der Rat leistet so einem klaren Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und die europäische Grundrechtecharta Vorschub.
Doch nicht nur die Zweckbindung steht auf der Kippe, auch das Zustimmungsprinzip soll geschwächt werden: Während man sich im EU-Parlament auf eine »explizite« Zustimmung für die Datenverarbeitung verständigt hat, will der Rat diese aufweichen und durch eine »eindeutige« Zustimmung ersetzen. Mit dieser schwammigen Definition wird dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.
Ähnlich verwässern will der Rat auch das Prinzip der Datensparsamkeit. Statt, wie das EU-Parlament vorgesehen hat, Daten nicht über das notwendige Mindestmaß hinaus anzuhäufen, schreibt der Rat vor, dass Daten »nicht exzessiv« gesammelt werden sollen.
Den Unternehmen wird es so ermöglicht, Daten zu beliebigen Zwecken zu erheben, zu verarbeiten und an Dritte weiterzugeben. Statt robuste Datenschutzregeln festzulegen, die Verbraucherinnen und Verbraucher ermächtigen, selbstbestimmt die Kontrolle über ihre Daten zu erhalten, soll die schier unermessliche Gier datenhungriger Unternehmen bedingungslos befriedigt werden. Statt ein europäisches Modell für den Datenschutz zu etablieren, wird dem US-amerikanischen Datenmonster-Vorbild nachgeeifert.
Die Hoffnung, dass die Reform doch einen echten Datenschutz garantiert, liegen nun auf den internen Ratsverhandlungen und den Trilog-Verhandlungen, bei denen die EU-Kommission, das Parlament sowie der Rat sich auf einen Gesetzestext verständigen werden. Hier muss und wird sich die Zivilgesellschaft weiter mit aller Kraft gegen die Lobbyinteressen der Datenkraken stellen und für eine Datenschutzreform kämpfen, die ihren Namen verdient.
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