Eine Rolle für Thate!

Zum Welttheatertag:

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Heute ist Welttheatertag. Gähn. Interessiert natürlich keinen, der von sich sagen möchte, er sei mit Wichtigem beschäftigt. Leute, die aussehen, als seien sie mit Wichtigem beschäftigt (Politik!, Politik!, Politik!) - sie leben dauernd mit dem Risiko, nach nichts auszusehen. Bis sie wirklich nach nichts aussehen. Dann also lieber ins Theater! Und sofort tun sich leider Fragen auf.

Warum, zum Beispiel, weinen wir im Kino, aber nicht (mehr) im Theater? Und weshalb müssen junge Zuschauer sogar während einer anderthalbstündigen Aufführung regelmäßig aus ihrer Wasserflasche zuzzeln, als ersticke man am Trockenfutter Kunst? Warum werden die meisten Romane nur noch geschrieben, um schon morgen auf eine Bühne geschleift zu werden? Wieso werden Dürrenmatt, Ionesco, Wampilow, Weiss, Anouilh, Grabbe, Hacks, Friedrich Wolf, Sperr, Kroetz, Hein kaum noch gespielt? Warum ist die Oper so ein erquicklicher Doppelverdienstposten für Schauspielregisseure geworden? Welches Schicksal steckt hinter den Freundlichen, die allabendlich nur immer die Eintrittskarten abreißen? Warum hat der grandiose Hilmar Thate keine Chance zum Bühnen-Alterswerk bekommen? Warum fragen Kritiker, wenn sie ihre Freikarte abholen, die Pressemenschen eines Theaters zuallererst: Wie lange dauert’s heute? Warum ändert jeder neue Intendant, wenn er irgendwo an die Macht kommt, zuallererst das Marketing-Outfit und das Format der Programmhefte - zeigt sich darin etwa Charakter und Innovation? Wozu muss es im Deutschland der konjunkturellen Hastigkeiten noch Dramaturgien geben? Wann begreift das deutsche Hochkulturtheater endlich die Unteilbarkeit der Welt, und Andrea Breth inszeniert in Bautzen, Luc Bondy in Schwerin, Hans Neuenfels in Dessau, Luk Perceval in Stralsund, Robert Wilson in Magdeburg, Martin Kušej in Bremerhaven, Michael Thalheimer im Berliner »Theater unterm Dach«, Claus Peymann in Senftenberg? Für Minimalgage! Und warum gibt es den Dramatiker Volker Braun nicht mehr? Weitere Fragen: Wissen Schauspieler (noch), für wen sie spielen? Interessiert sie es überhaupt? Warum sitzen neuerdings so viele blöde kreischende Claqueure in den Premieren? Weiß jemand aus dem Hut, wie viele Stadt- und Staatstheater (Welt-Einmaligkeit!) es eigentlich in Deutschland gibt? Wer sah Angela Merkel zuletzt im Theater? (Das Argument, sie habe keine Zeit, gilt nicht! Jeder hat die Zeit, die er/sie sich nimmt, und wenn wir schon bei Europa sind: Kunst bleibt der größte Rettungsschirm.)

Ach, so viele an den Haaren herbeigezogene Fragen, und das doch nur, weil heute Welttheatertag ist und alles auf einen Satz zulaufen soll: »Vorhang zu, und alle Fragen offen!« Natürlich kennen alle diesen Satz, alle haben ihn jahrelang als Abschluss-Satz Reich-Ranickis im »Literarischen Quartett« des ZDF gehört, aber alle wissen (wissen’s wirklich alle?), dass er nicht von R. R, stammt, sondern von b. b., und wir brauchen jetzt (natürlich!) nicht zu fragen, aus welchem Stück Brechts. Noch Fragen?

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