Flatrate für Vielfahrer

Werner Reh vom Umweltverband BUND hält die Pkw-Maut von Verkehrsminister Dobrindt für ungerecht und unergiebig

  • Lesedauer: 4 Min.
»Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben« - der Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel im TV-Duell vor der Bundestagswahl ist Geschichte. Was aus dem Versprechen wurde, sit bekannt. Dass die Maut kommt, bleibt aber ein Fehler.

»Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben« - der Satz von Bundeskanzlerin Angela Merkel im TV-Duell vor der Bundestagswahl ist Geschichte. Die Große Koalition nickt an diesem Freitag im Bundestag etwas ab, das CSU-Stammtischparolen wie »Ausländer sollen auch für deutsche Autobahnen zahlen« in Gesetzesform gießt. Künftig wird bei in Deutschland »gebietsansässigen« Autohaltern per Lastschrift die »Infrastrukturabgabe für Nutzer von Bundesfernstraßen« eingezogen. Gebietsfremde Halter zahlen hingegen eine Nutzungsgebühr nur für Autobahnen, können also das 40 000 Kilometer lange Bundesstraßennetz weiter kostenlos nutzen. Am Ende bringt das Ganze kaum mehr als 100 Millionen Euro ein. Und ziemlich sicher wird der Europäische Gerichtshof das Gesetz mit seiner Eins-zu-Eins-Senkung der Kfz-Steuer kippen. Dann gilt die Maut für alle in Deutschland zugelassene Pkw. Im Kern geht es der Bundesregierung um mehr Geld für den Straßenbau. Egal ist, dass damit keinerlei ökologische Lenkungswirkung und keine positiven Effekte zur effizienteren Straßennutzung entfaltet werden. Das ist nicht nur schade, es ist grundfalsch.

Jeder weiß: Der geringe Anteil ausländischer Pkw an der Gesamtfahrleistung auf deutschen Autobahnen ist nicht das Problem. Es ist die Tatsache, dass noch immer viele Milliarden für fragwürdige Verkehrsprojekte ausgegeben werden, anstatt das Geld beispielsweise in die dringend notwendige Sanierung der rund 40 000 Brücken an Bundesfernstraßen zu investieren. Außerdem ist die Maut in ihrer jetzigen Form ungerecht: Wenigfahrer subventionieren Vielfahrer und alle zusammen subventionieren die Firmenwagen, die nicht selten viele zehntausend Kilometer pro Jahr zurücklegen. Und es gibt ein weiteres großes Problem für die Infrastruktur und die Städte: Es sind die zahlreichen Lkw, die sich, um Maut zu sparen, oft durch Städte und Dörfer quälen, dort vielfältige Gefahren verursachen und die Anwohner um ihren Schlaf bringen. Die geplante Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen bis 2017, die im Zuge der Pkw-Mauteinführung erfolgen soll, ist deshalb richtig. Als nächstes müssen die Ausweitung der Lkw-Maut auf das gesamte Straßennetz und die Einbeziehung auch kleinerer Lastwagen ab 3,5 Tonnen Gewicht in das Maut-System erfolgen. Dies wäre verursachergerecht, weil Lkw nicht nur Autobahnen verschleißen, sondern auch andere Straßen. Länder und Kommunen stehen deshalb vor immensen Problemen. Die Dobrindtsche Maut aber soll zusätzliches Geld weiter in eine fragwürdige und überholte Betonpolitik lenken. Das blockiert Reformen in der Verkehrsplanung.

Maut-Systeme wären sinnvoll, wenn vor allem jene zahlen, die die Straßen am meisten nutzen und am stärksten verschleißen. Wirklich intelligente Maut-Systeme hätten zudem den Vorteil, dass sich mit ihnen Verkehr steuern ließe. So könnten am tatsächlichen Schadstoffausstoß ausgerichtete Mautsätze dem Klimaschutz und der Sauberkeit der Atemluft nützen. Verkehrsströme könnten entzerrt werden, wenn zu Stoßzeiten erhöhte Maut-Sätze gelten. Und: Für den Klimaschutz ist eine echte entfernungs- und emissionsabhängige Pkw-Maut unverzichtbar. Denn sie führt zu einer effizienten Nutzung von Pkw. Die Kfz-Steuer könnte bei einer solchen Lösung übrigens komplett abgeschafft werden.

Mit der Maut erzielte Mehreinnahmen sollten schlussendlich vorrangig für den Erhalt der gesamten Verkehrsinfrastruktur eingesetzt werden: für den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, für neue Radwege oder Schleusen an Bundeswasserstraßen. Der Finanzbedarf für den Erhalt der Verkehrswege in Deutschland einschließlich Nachholbedarf beträgt inzwischen gigantische 7,2 Milliarden Euro - pro Jahr.

Die Pkw-Infrastrukturabgabe von Dobrindt ist hingegen unergiebig, ökologisch kontraproduktiv, ungerecht und fördert Straßenneubau. Anfang 2016 will der Minister seine Maut »scharf stellen«. Kommt es dazu, haben wir künftig so etwas wie eine »Flatrate für Autofahrer«. Einmal bezahlt, animiert sie sicher nicht dazu, zum Erreichen von Reisezielen öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Wer am Freitag für die »Dobrindt-Maut« stimmt, löst keines der gravierenden Finanzierungs- und Umweltprobleme im Verkehr. Er stellt die Weichen falsch, lässt Länder und Kommunen mit ihren sanierungsbedürftigen Verkehrswegen allein. Eine intelligente und moderne Pkw-Maut ist damit - hoffentlich - noch nicht für alle Zeiten vom Tisch.

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