Arbeitsteiliges Versagen
Dortmund, Rechten-Hochburg im Westen, steht für einen völlig verfehlten Umgang mit Nazis
Ausgerechnet am Samstag und damit am zehnten Todestag des 2005 von einem Nazi-Skin erstochenen Punks Thomas »Schmuddel« Schulz dürfen in Dortmund ein Nazi-Aufmarsch und ein Nazi-Konzert stattfinden. Das Oberverwaltungsgericht Münster stoppte am Mittwoch final den Versuch, beide Events zu verbieten, weil die öffentliche Ordnung gefährdet sei. Dortmunds Polizeipräsident Lange habe »keine ausreichenden Tatsachen benannt«, die Verbote rechtfertigen würden, befanden die Münsteraner Richter. Und der Termin erschien den Juristen hinreichend zufällig. Der Jahrestag des Tötungsdelikts, die Demo, das Konzert - ein Zusammenhang erschien dem Gericht »nicht als hinreichend belegt«.
»Gewonnen!«, jubelten die Organisatoren, nämlich Kader der Partei »Die Rechte«. Und verspotteten den Polizeipräsidenten als »Verlierer auf falschem Posten«. Immerhin, Lange hatte probiert, das Treffen der Nazis juristisch zu verhindern. Es war sein fünfter vergeblicher Versuch, »Die Rechte« einzuschränken.
Tags darauf, also am Donnerstag, wurde bekannt, wie die Staatsanwaltschaft Dortmund den Sturm von 30 Neonazis auf das Dortmunder Rathaus am Abend der Kommunal- und Europawahl 2014 juristisch zu behandeln gedenkt: mit sieben Strafbefehlen gegen Nazis, die Andersdenkende mit Fäusten, Flaschen und Reizgas angriffen, unter anderem die grünen Landtagsabgeordnete Daniela Schneckenburger niederschlugen. Ihr Anführer: der damals frisch gewählte »Die Rechte«-Stadtrat Siegfried Borchardt, besser bekannt als »SS-Siggi«.
Deutlich mehr, nämlich 17 Strafbefehle verhängte die Staatsanwaltschaft gegen Lokalpolitiker, Bürger und Antifa-Aktivisten, die sich dem Mob in den Weg stellten. Der Vorwurf: Nötigung. Nötigung von angreifenden Nazis. Der Vorgang beschäftigte bereits mehrfach den Innenausschuss des Landtages. Der Polizei wird Versagen vorgeworfen. Ihr Bericht vom Tatabend gilt vielen als nicht gerade objektiv. Viele SPD- und Grünen-Politiker sehen sich darin verunglimpft. Die Staatsanwaltschaft Dortmund störte das nicht.
Schlagzeilen machten in den letzten Wochen auch Morddrohungen gegen Journalisten aus Dortmund. Beworben wird in den fingierten Todesanzeigen auch der Internet-Versandhandel des Dortmunder »Die Rechte«-Kaders Michael Brück. Vor ein paar Tagen wurde der Journalist Marcus Arndt tatsächlich in der Dortmunder Innenstadt angegriffen. Nach einer Mahnwache von »Die Rechte«. Die Ermittlungen laufen.
Wenn es um Nazi-Straftaten geht, lassen sich in Dortmund zwei Muster erkennen. Immer wieder versagt mindestens eine Behörde, fast drängt sich der Verdacht einer Arbeitsteilung auf. Und immer wieder tauchen die selben Nazi-Akteure auf. Gestalten wie der dutzendfach vorbestrafte Nazi-Hooligan Siegfried Borchardt, wie Dennis Giemsch, der für »Die Rechte« im Stadtrat sitzt, oder Michael Brück, Vizeführer des Landesverbandes von »Die Rechte«.
Allesamt waren sie früher aktiv im »Nationalen Widerstand Dortmund«, der im August 2012 vom NRW-Innenminister Jäger verboten wurde, weil dessen Mitglieder sich »offen zum verbrecherischen Nationalsozialismus« bekennen würden und »alle ihre Aktionen« darauf gerichtet seien, »unsere demokratische Gesellschaftsordnung zu untergraben«. Seitdem machen Borchardt, Giemsch und Brück einfach weiter wie bisher - nur unter dem Namen »Die Rechte«. Die Staatsanwaltschaft Dortmund unterband ein Verbotsverfahren: Partei sei Partei und daher privilegiert.
Vier Morde und einen Totschlag begingen Nazis aus oder in Dortmund seit der Jahrtausendwende, durchaus nicht zum Missfallen der Kameraden vor Ort. Der dreifache Polizistenmörder Michael Berger wurde im Jahr 2000 auf Flugblättern und Aufklebern von der »Kameradschaft Dortmund« (Führer: »SS-Siggi« Borchardt) bejubelt: »Berger war ein Freund von uns« und »3:1 für Deutschland«, war da zu lesen. Wie nach einem Fußballspiel die Tore werden drei tote Polizisten gegen einen toten Nazi aufgerechnet. Vier Jahre später erstach der Nazi-Skin Sven Kahlin den Punk Thomas Schulz. »Thomas Schulz, das war Sport, Widerstand an jedem Ort«, riefen Nazis auf einer Demonstration drei Tage vor Weihnachten 2014. Zum Aufmarsch geladen hatte »Die Rechte«.
Bei der selben Gelegenheit grölten die Nazis auch: »Mehmet hat’s erwischt« - eine recht unzweideutige Anspielung auf Tötungsdelikt Nummer fünf, den Mord an dem Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık im April 2006, begangen wohl durch den Nationalsozialistischen Untergrund, und zwar ganz in der Nähe eines Nazi-Treffpunkts.
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