Überlasteter Seismograf
Christin Odoj zur Bilanz der Berliner Kältehilfe
Auch in diesem Jahr haben die Berliner Notunterkünfte wieder verkünden müssen, dass sie an den meisten Tagen mehr Schlafmöglichkeiten für Hilfesuchende zur Verfügung gestellt haben, als es regulär Plätze gab. Klar ist: Die Notunterkünfte werden immer mehr zum Seismografen der sozialen Not in Deutschland und Europa. Mit dem in diesem Land einzigartigen Hilfenetzwerk leisten die Träger jedes Jahr aufs Neue Erstaunliches. Manche würden sagen, sie schaffen damit erst den Bedarf, den es gibt. Das ist natürlich völliger Irrsinn. Soziale Einrichtungen reagieren mit ihren Angeboten auf den Fakt, dass es sie gibt, die Menschen ohne Obdach, mit Alkoholproblemen, vielfach um ihren eh schon mickrigen Lohn gebracht, und das in einem System, das restriktiver kaum zu gestalten ist. Ein Stichwort unter vielen ist das EU-Fürsorgeabkommen. Diese Menschen sind auf dem eingeschlagenen Weg der europäischen Integration keine Ausschussware, sondern gehören nun mal zur Familie - und die wird immer größer. So viel zum Grundsätzlichen.
Die Zahl der Übernachtungen wird auch in der kommenden Kälteperiode steigen, davon gehen die Träger aus. Der Senat hat mit zusätzlichen Plätzen im letzten Jahr relativ frühzeitig reagiert. Dabei kann es jedoch nicht bleiben. Flüchtlinge in Notunterkünften unterzubringen, weil sie am Wochenende beim zuständigen Amt niemanden antreffen, ist bei allen ebenso grauseligen Alternativen nur ein weiteres Zeichen der lange anhaltenden Überforderung des Senats. Hier sind z.B. die städtischen Wohnungsgesellschaften gefragt, endlich ihre Kapazitäten aufzustocken. Nur ein kleiner Schritt auf einem langen Weg.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.