Krank und ohne Hilfe
Träger der Kältehilfe ziehen Bilanz: Immer mehr Menschen mit Pflegebedarf auf der Straße
Jeden Morgen sind sie da, am Eingang zum Ostbahnhof stehen sie, sprechen mal mehr, mal weniger aufgeregt miteinander, meistens Polnisch. Ihr Alter ist schwer zu schätzen, so lädiert und verquollen sind die Gesichter. Noch vor acht Uhr müssen die meisten aus den Notunterkünften verschwunden sein, deshalb sind sie zu dieser Zeit schon hier. Immer ist ein Mann unter ihnen, der auf seinem Rollator lehnt, fast liegt. An zwei von fünf Tagen hat er in seine Hose uriniert.
»Was in den letzten Jahren auffällig wird, ist der besorgniserregende Gesundheitszustand von Menschen, die auf der Straße leben«, sagt Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg bei der Vorstellung der Saisonbilanz der Kältehilfe am Montag. Jedes Jahr zwischen dem 1. November und dem 31. März öffnen die Notunterkünfte und stellen in der kältesten Jahreszeit Betten zur Verfügung. Zunehmend, so die Träger übereinstimmend, würden Fälle von psychisch Kranken und Pflegebedürftigen bei den Notunterkünften und den Kältebussen im Einsatz registriert. Allein die Stadtmission, einer der größten Träger in der Obdachlosenhilfe, verzeichnete einen Zuwachs um die 40 Prozent bei den schwer kranken Obdachlosen im Vergleich zum letzten Jahr. Rollstuhlfahrer bedürften eines besonders hohen Pflegeaufwandes. Auch Menschen, die wegen eines akuten Notfalls nicht im Krankenhaus behandelt werden können, landeten des Öfteren vor den Türen der Notunterkünfte, sagt Eschen. »Das ist einmal eine hohe Belastung für die Betroffenen selbst, aber auch für die Mitarbeiter in den Notunterkünften«. Sich um einen einzelnen pflegebedürftigen Obdachlosen zu kümmern, Verbände und Windeln zu wechseln, beim Duschen zu helfen, binde sehr viel Zeit, die bei der Unterstützung für die übrigen Hilfesuchenden fehle. Menschen aus dem EU-Ausland seien generell von der medizinischen Unterstützung ausgeschlossen. Da ihr Anteil unter den Obdachlosen steige, müsse auch hier reagiert werden, so die Träger. Hinzu kommt, dass die 15 Notübernachtungen und 14 Nachtcafés, wie in den Jahren zuvor, zu über 100 Prozent ausgelastet waren, obwohl der Senat schon zu Beginn der Kältehilfesaison zugesagt hatte, die Plätze auf 500 aufzustocken. Insgesamt gab es in den fünf Monaten 81 872 Übernachtungen. Mit durchschnittlich 542 Übernachtungen bei 532 regulär zur Verfügung stehenden Plätzen waren die Notunterkünfte zu rund 102 Prozent ausgelastet. Zwar mag das nach einer adäquaten Ausstattung klingen, jedoch schwankten die Zahlen auf einem hohen Niveau in den kältesten Tagen ab Januar zwischen 104 bis 111 Prozent Auslastung. »Die Zahlen zeigen, dass weiterhin der Bedarf an zusätzlichen Plätzen besteht«, sagt Johannes Seitz-Reimann vom Kältetelefon, der Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe.
Eine zusätzliche Herausforderung seien die vielen Flüchtlinge, die in den Wintermonaten in den Notunterkünften unterkamen, sagt Ulrike Kostka, Direktorin des Caritasverbandes Berlin. Darunter seien viele Familien mit kleinen Kindern, die in den Gemeinschaftsunterkünften mit teils schwierigem Klientel nicht richtig aufgehoben sind. Allein in der Unterkunft Franklinstraße waren ein Drittel der Plätze von Flüchtlingen belegt. Ein großes Problem sei, dass das für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales keine Wochenenddienste anbietet, weshalb Asylsuchende an diesen beiden Tagen auf die Kapazitäten der Kältehilfe verwiesen wurden. »Die Kältehilfe kann hier nicht zum Ausfallbürgen werden«, sagt Kostka.
Um die Situation, vor allem für Pflegebedürftige und Familien zu verbessern, fordern Caritas und Diakonie den Senat und die Bezirke auf, für beide Gruppen spezielle Einrichtungen zu schaffen. Konzepte gebe es genug.
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